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Wände reißen auf, Häuser fahren vorbei

Am Deutschen Theater belebt Robert Wilson den Stummfilmklassiker „Doktor Caligari“. Doch die Inszenierung verliert sich in leerer Schönheit

von ESTHER SLEVOGT

Robert Wilson kehrt zu seinen Wurzeln zurück, pfiffen die PR-Agenten des Deutschen Theaters vor der Premiere von „Doktor Caligari“ aus der Dramaturgieetage. Zurück zu einem Theater ohne Worte. Die Wahl des Stoffes ließ dann erst einmal die Frage in den Hintergrund rücken, warum Robert Wilson nun auch noch am Deutschen Theater inszenieren muss, wo er schon um die Ecke in Peymanns BE inszeniert. Manchmal wird man den Eindruck nicht los, dass Theaterleiter genauso gerne einen Wilson im Repertoire haben wie die Diplomatengattin das kleine Schwarze im Kleiderschrank: Damit ist man zu jeder Gelegenheit richtig angezogen.

Doch in diesem Fall schien die Stoffwahl ebenso zwingend wie der Spielort, an dem er nun über achtzig Jahre nach seiner Geburt in Erich Pommers Decla-Studios wieder auferstehen sollte. In Robert Wienes Stummfilmklassiker „Das Kabinett des Dr. Caligari“ haben so legendäre Interpreten wie Siegfried Kracauer das psychologische Grundmuster der verhängnisvollen Liaison beschrieben, die die Deutschen mit Hitler eingegangen sind: Der Schlafwandler Cesare wird von Dr. Caligari mit hypnotischen Mitteln zum Morden getrieben. Der schlafwandelnde Verbrecher ist also eigentlich selbst eher Opfer als Täter, was man aus heutiger Sicht als eine äußerst gnädige Interpretation bezeichnen kann. Caligari wurde damals von Werner Krauss gespielt, der später tragende jüdische Rollen in Veit Harlans Nazi-Hetzfilm „Jud Süß“ übernahm. Caligaris Medium Cesare war Conrad Veidt. Als Emigrant in Hollywood spielte er 1941 eine seiner größten Rollen als Nazi-Major Strasser in Michael Curtis „Casablanca“. Beide Schauspieler verdankten ihre Karrieren letztlich Max Reinhardt, der sowohl Veidt als auch Krauss kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ans Deutsche Theater geholt hatte. Die Caligari-Geschichte schrieb sich also auch als Filmgeschichte fort.

Von der Filmgeschichte zehrt auch dieser Wilson-Abend. Allerdings eher als Hommage an die Frühzeit des Kinos und dessen Ausdrucksmittel. Man trifft nicht bloß den Caligari, der in der Haut des Schaupielers Christian Grashof ebenso ein äußerst delikater Nosferatu sein könnte. Es treten auch Stan und Olli sowie Buster Keaton auf. Einmal wird nur der Buchstabe „M“ am langen Faden vor einem tiefblau leuchtenden Hintergrund heruntergelassen: eine Stadt jagt einen Mörder, was irgendwie auch die Geschichte des Caligari ist. Häuser fahren vorbei oder klappen ineinander, Wände reißen auf, und einfallendes Licht taucht die Szene in die hinreißendsten Farben. Im Stakkato von Percussion-Instrumenten hüpfen Damen mit überdimensional geschminktem Kussmund über die Bühne. Volkmar Kleinert lehrt als aasiger Arzt das Fürchten, und Barbara Schnitzler ist mit blondierten Brennstablocken im wehend weißen Mousselinekleid eine äußerst ansehnliche Stummfilmdiva.

Expressionistisch windet sich Christian Grashof händeringend in den Bühnenhimmel empor, das Gesicht ebenso virtuos geschminkt wie zur Grimasse verzogen. Überhaupt ist Grashof eigentlich eine kongeniale Besetzung, denn wie kaum ein anderer Schauspieler verfügt er über die exzentrische Körpersprache der alten Stummfilmstars. In den Achtzigerjahren wurde er damit in den inzwischen legendären Inszenierungen von Alexander Lang zu einem der herausragendsten Schauspieler des späten DDR-Theaters. Erinnerungen an seinen „Herzog von Gothland“ werden wach, als einmal vom Band verzerrt so etwas wie ein kollektives „Heil!“ klingt. Aber das bleibt bloß ein Bild ohne Inhalt. Immer wieder ist der Abend ein Fest fürs Auge, zum Beispiel wenn der hübsche Franzis (Francesco Cordella) in seinem Bett, wo er bald ermordet wird, wie in einer kubistischen Wolke vorüberschwebt. Aber eben bloß ein Fest fürs Auge, leider keins fürs Gehirn.

Und so ermüdet man rasch im Angesicht von so viel leerer Schönheit. Im Off bemüht sich die Stimme von Stefan Kurt gelegentlich um die dämonischen Dimensionen der Handlung, die im Übrigen erzählt wird wie ein Märchen für etwas begriffsstutzigere Zeitgenossen. In solchen Momenten spürt man den betreuenden Dramaturgen im Hintergrund besonders verzweifelt mit dem Zaunpfahl winken: Ein bisschen Inhalt muss schon sein. Bloß dass dann manchmal die Bilder doppelt banal wirken, weil sie auf einmal mehr als bloß hochglanzpolierte Oberfläche sein wollen.

Im Vorfeld hat sich Robert Wilson auch auf Heiner Müllers Inszenierungen („Hamlet“, „Lohndrücker“) am Haus bezogen, die um 1990 hier Furore gemacht hatten. Doch Müllers inhaltssatten Theaterabenden kann „Doktor Caligari“ nicht das Wasser reichen. Er reicht nicht einmal an Wilsons viel beschworenes Frühwerk heran. Richtig froh mit diesem Abend werden wahrscheinlich nur die Diplomatengattinen werden, weil es in Berlin endlich mal wieder einen Theaterabend passend zur Garderobe gibt.

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