piwik no script img

Nicht gerade Anwalts Liebling

Insassenvertreter in Santa Fu wegen Rechtsberatung von Mithäftlingen angeklagt. Nur Anwälte dürfen im Knast Tipps geben  ■ Von Peter Müller und Kai von Appen

Es gibt viele Autodidakten: Die einen lernen ohne Ausbildung das Reparieren von Autos und sind dann in der Nachbarschaft sehr beliebt, wenn sie bei einer Panne helfen. Die anderen eignen sich in speziellen juristischen Bereichen Kenntnisse an und können ohne Jura-Studium wertvolle Tipps geben und bei mancher Formulierung helfen. Nun würde wohl niemand darauf kommen, dass man sich strafbar machen könnte, wenn man einen „Rat“ gibt, gegen eine Maßnahme „X“ „Widerspruch“ mit Begründung „Y“ einzulegen – in der Tat wird so etwas im Allgemeinen selten verfolgt. Es sei denn, es geht um spezielle und sensible Themenkomplexe, sodass die spezielle und unkontrollierte „Beratung“ für die Behörden zur Belastung werden, weil ihre unkorrekten Anordungen aufgehoben werden. Dann greifen Staatsanwälte und Juristen gern auf das „Rechtsberatungsgesetz“ zurück. Es erlaubt nur zugelassenen Anwälten eine Rechtsberatung.

So im Fall Gunter Schmiedel: Der Insassenvertreter in der Justizvollzugsanstalt Am Hasenberge, „Santa Fu“, musste sich in dieser Woche wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz vor dem Amtsgericht verantworten.

Der Vorwurf: Schmiedel habe ohne Anwaltszulassung gegen Strafvollstreckungsmaßnahmen für einen anderen Insassen einen Widerspruch formuliert und einem weiteren Gefangenen bei einer Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Abschiebung geholfen. Dazu habe er im ersten Fall eine Vollmacht erhalten und im Fall 2 Kontakt zu dessen Anwalt gehabt, um Unterlagen auszutauschen. Folge: Ein Bußgeldbescheid für Schmiedel in Höhe von 2000 Mark, gegen den er gerichtlich vorgeht.

Die Einlassung: Schmiedel gibt durchaus zu, als Insassenvertreter und Gründer des Gefangenenvereins „BIGS“ (Bürgerinitiative zur Gleichstellung im Strafvollzug) Insassen und Vereinsmitglieder beraten und ihnen geholfen zu haben. Das hätten in anderen Verfahren selbst Vorsitzende Richter von Strafvollstreckungskammern lobend erwähnt, den Widersprüchen entsprochen und sogar Kostenerstattung gewährt.

Die Anstalt: Die Knastleitung möchte selbstredend eine Verfahrens- oder Widerspruchsflut gegen ihre Anordnungen unterbinden. „Wir haben Dutzende von Strafverfahren, die aus der Feder von Herrn Schmiedel stammen“, gibt Gefängnis-Juristin und Santa Fu-Vizeleiterin Sabine Klose vor Gericht unumwunden zu. Und es nervt die Gefängnisleitung, wenn sie aufgrund dessen Landgerichtsbeschlüsse gegen Vollstreckungsmaßnahmen kassiert, in denen es heißt: „Die Maßnahme ist offensichtlich rechtswidrig“ oder „offenkundig verfassungswidrig“. Dass Schmiedel sie tatsächlich formuliert hat, kann Klose allerdings nicht sagen. „Beweise gibt es dafür nicht“, sagt sie, „aber ich kenne seinen Wortschatz und seinen Duktus.“

Das Gesetz: Das so genannte Rechtsberatungsgesetz ist am 13. Dezember 1935 von den Nazis erlassen worden. Danach dürfen Bürger in juristischen Fragen im Wesentlichen nur von zugelassenen Rechtsanwälten beraten werden. Das Gesetz diente damals dazu, vor allem Juden aus der Juristerei he-rauszuhalten, weil Juden generell die Zulassung als Rechtsanwalt verweigert wurde. Lediglich der Judenpassus wurde nach dem 2. Weltkrieg gestrichen. Doch das in Europa einzigartige Gesetz blieb bestehen, so dass Kritiker davon sprechen, dass dem Gesetz noch heute der „ewige Makel nationalsozialistischer Geburt“ anhaftet.

Die Schikane: Heute werden Verstöße vor allem bei politisch brisanten Komplexen – Totalverweigerung, Asyl- und Sozialrecht oder die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen – geahndet. Also Bereiche, wo sich das Klientel eigentlich keine Anwälte leisten kann, aber auch Komplexe, um die sich Anwälte oft nicht reißen, weil der Aufwand groß ist und die Gebühren niedrig sind. So wurde vor zwei Jahren der Ex-Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, Helmut Kramer, nach einer Eigenanzeige vom Oberlandesgericht Braunschweig zu einem Bußgeld verurteilt, weil er sich für zwei Totalverweiger und für die Aufhebung eines NS-Todesurteils eingesetzt hatte.

Das Werkzeug: Das Gesetz kann aber auch als Disziplinierungsinstrument eingesetzt werden. So wurde gegen Schmiedel paralell zum Bußgeldbescheid ein Arbeits-, Ausbildungs- und Schreibverbot im Knast verhängt. „Ich darf als Redakteur der Insassenzeitung ,Blickpunkt' nicht mehr schreiben“, berichtet Schmiedel, „das Fernstudium Informatik musste ich abbrechen.“ Auch, so Schmiedel weiter, sei sein Computer beschlagnahmt worden und unterliege seine Post „der persönlichen Kontrolle von Frau Klose“.

Die Ungleichbehandlung: Während Schmiedel wegen Beratung verfolgt wird, durfte Ex-Anwalt Hans-Jürgen Hausmann als Insassenvertreter Aushänge aufhängen, in dem ausdrücklich Hilfe in „Rat und Tat“ angeboten wurde. Hausmann sitzt wegen diverser Mandantenbetrügereien in Santa Fu und war vom Landgericht mit einem Berufsverbot belegt worden. „Es riecht danach, dass einer abgestraft werden soll, während der andere begünstigt wird, weil er der Anstalt nützlich ist“, wettert Schmiedels Verteidiger vor Gericht. Laut Aussage der Verteidigung sei Hausmann V-Mann und habe trotz verhängter Sicherheitsverwahrung zurzeit Ausgang.

Das Urteil: Während Schmiedel ein Grundsatzurteil gegen das NS-Gesetz anstrebte, schummelte sich Amtsrichter Lutz Nothmann um eine inhaltliche Entscheidung herum und stellte kurzerhand das Verfahren ein. Begründung: Da Schmiedel noch lange einsitzt, sei eine weitere Verurteilung nicht notwendig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen