: Winnetou mit Disneys Federschmuck
Karl May ist lange tot, doch sein Häuptling der Apachen wird gerade wieder einmal neu geboren – als Zeichentrick-Figur mit Hakennase und blauen Haaren. Die ersten drei Folgen der neuen Serie „WinneToons“ gibt’s am Samstag um 9.30 Uhr auf der ARD. Ab 24. April geht’s auf Kika weiter
von ALEXANDER KÜHN
Irgendwann muss Pierre Brice begonnen haben, sich für Winnetou zu halten. Der Öffentlichkeit wurde das im vergangenen Oktober bewusst, als der berühmte Käsewerbeträger, offenbar nach einem zu intensiven Zug aus der Friedenspfeife, bei „Wetten, dass …?“ dem neben ihm sitzenden Bully klarzumachen versuchte, dass es dessen „Manitu“-Blödelfilm an Respekt vor Karl May fehle – und dass mangelnder Respekt zu so was führe wie Anschlägen auf Twin Towers.
Wie der nicht mehr ganz frische Franzose auf die „WinneToons“ reagiert hat, ist nicht bekannt. Ehrlicherweise muss man jedoch sagen, dass es den meisten Kindern so geht wie 100 Prozent der Franzosen: Sie haben von Pierre Brice noch nie etwas gehört. Auch nicht von Karl May, der an diesem Samstag in den ewigen Jagdgründen seinen 90. Todestag feiert. Für Kinder wird diese Cowboy-und-Indianer-Serie nichts anderes sein als eine Cowboy-und-Indianer-Serie. Bewegt und aufgeregt sein werden allenfalls die Erwachsenen, die Pierre Brice für Winnetou halten und sich fragen: Stirbt Winnetou in der 26. und letzten Folge den Zeichentricktod? Müssen wir wieder weinen?
Dazu später. Verraten können wir schon mal: Die Serie ist recht ordentlich gemacht und setzt auf wohl dosierte Wiedererkennung. Da wäre Sam Hawkins, der May-getreu seine Sätze mit „wenn ich nicht irre“ zu beenden pflegt. Ralf Wolter mimte den trotteligen Trapper in den 60er-Jahre-Filmen und leiht ihm auch jetzt seine Stimme – skurrilerweise nur in den ersten drei Folgen, als Köder für die erwachsenen Zuschauer. Laut Presseheft hatte der „beliebte Schauspieler“ viele andere „Verpflichtungen“.
Wer Cartoons auf der Basis einer (meist uralten) literarischen Vorlage produziert, klaut vom Buch Plot und Figuren und stülpt eine Ästhetik und Dramaturgie drüber, wie der Zuschauer sie von Zeichentrickfilmen gewohnt ist. Und macht – was den WinneToons freilich nicht gelingen wird, weil Bücher und Filme viel zu mächtig sind – bisweilen das Ursprungswerk vergessen. Kleiner Test: Auf die Frage, wer die „Biene Maja“ erschaffen hat, antwortet kein normaler Mensch: Waldemar Bonsels. Eher schon: Karel Gott. Und die 1974 produzierte Serie mit dem schwarzhaarigen, rotbackigen, dicken Mädchen hat für alle Zeiten festgelegt, wie Heidi aussieht. Mal ehrlich: Wer greift schon zu Johanna Spyris hippen Titeln „Heidis Lehr- und Wanderjahre“ und „Heidi kann brauchen, was es gelernt hat“ (von 1880 und 1881)?
Na, wer hat’s erfunden? Nicht die Schweizer, sondern japanische Trickser haben „Heidi“, „Biene Maja“ und solcherlei mehr geschaffen. Typisches Merkmal: Gesichter mit Kulleraugen, mickrigen Näschen und Mündern. Ganz anders bei, den „WinneToons“, die Produzent und Regisseur Gert Ludewig in Hamburg entwerfen, in den USA schreiben und aus Kostengründen in China zeichnen lassen. Ihre Ästhetik ist die westliche. Sam Hawkins trägt einen Riesenzinken im Gesicht. Indianer haben Hakennasen. Die Cowboys sehen aus wie die Komparsen bei „Lucky Luke“, und ähnlich wie Jolly Jumper grinst auch Sam Hawkins’ Pferd zähnebleckend in die Kamera.
Menschenähnliche Tiere, schon seit Walt Disneys Frühwerk bei Trickfilmen schier unverzichtbar, dürfen auch bei den „WinneToons“ nicht fehlen. Als da wären: Fastfood, der Kojote, und Misty, das Stinktier, das schon mal freudig in die Hände klatscht oder in diese bei Gefahr die Beine nimmt. Sie sind die Begleiter von Winnetous kleiner, ehemals Marie Versini gewesener, jetzt wie Disneys Pocahontas aussehender Schwester Nscho-Tschi.
Übrigens: Um nichts falsch zu machen, hat das Winne-Team sich von dem Indianer Sunny Skyhawk beraten lassen, der auch schon für „Der mit dem Wolf tanzt“ Hilfestellung gab. Und sonst? Old Shatterhand hat einen Disneyhelden-Charme, ist ein richtiger Schrank (ungefähr drei Lex Barkers), und sein eckiger Kiefer ist fast so groß wie der von Schwarzenegger. Auch Winnetou hat ein eckiges Gesicht, aber schmaler. Und blaue Flecken im schwarzen Haar, soll heißen: Sein Haar glänzt. Nicht vor Fett – vor Vitalität. Ach, wenn wir gerade dabei sind: Wird Winnetou am Ende sterben? Moment.
Noch kurz zum Titellied. Die schaurigschöne Mundharmonika? Das berühmte „japieee-japieee-dididi-deiiiiiiiii“? Nichts. Stattdessen: Ein Rocksong von der „Cotton Eye Joe“-Schwedenband „Rednex“. Irgendwas mit „gonna win“ im Text, mit „gonna fight! 220“ und „gonna survive“. Und damit beantwortet sich die entscheidende Frage von selbst: Natürlich wird Winnetou in dieser Serie nicht sterben. Uff.
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