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Der siebte Zwerg hat Dienst

Die Sommerzeit mag tief aus der Erde kommen. Aber ist sie noch attraktiv genug für den modernen Zeitverbraucher?

Eigentlich sehe ich die Nachrichten nur, um mich näher über die Zeitumstellung zu informieren. Doch was muss ich sehen: Statt Zeitumstellung nur Nahostkrisenblabla und unansehnliche Greise in teuren Anzügen: Das gibt’s doch nicht!

Als die Sommerzeit neu war, liefen noch Herolde durch die Straßen, sangen der Zeitumstellung Lob und warfen informative Wurfsendungen in die Briefkästen. Heute hat sich da vieles eingespielt. Kein Wort wird mehr darüber verloren, schon gar kein liebes, und alles scheint so selbstverständlich wie in einer langjährigen Beziehung. Und eines Tages wundert sich die Sommerzeit dann, warum sie überhaupt nicht mehr beachtet wird. Sie fragt sich, ob sie denn überhaupt noch attraktiv ist für den Zeitverbraucher. Und mit einem Mal stellt sie fest, dass sie es nicht mehr ist, dass sie alt ist und die besten Jahre vorbei sind. Der nachlässig gewordene Zeitverbraucher sieht die Uhr nicht mehr an. Er schnarcht und dreht der Zeit den Rücken zu. Er hat sich anderen Beschäftigungen zugewandt, kifft nur noch oder geht im Wald spazieren. Wenig später dann die Scheidung. Die Kinder werden ohne Sommerzeit aufwachsen oder ohne Zeitverbraucher. Nicht selten kommt es zu schweren neurotischen Störungen. Mord ist oft die Folge, manchmal Schlimmeres.

Ich schweife ab. Im Grunde wollte ich an dieser Stelle die Zeitumstellung erklären: Ganz tief im Inneren der Erde, hunderttausende von Kilometern tief, hausen die sieben Zeitzwerge. Sie haben verrußte Gesichter mit ganz vielen Knitterfalten und heißen Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag. Immer sechs von ihnen haben frei, stehen an einem kleinen Stehtisch, spielen Karten und trinken Kaffee aus Plastikbechern – in etwa wie die alten Kutscher in der Tanke Reuter-/ Ecke Karl-Marx-Straße, die sich dann noch wundern, warum sie keine Umsätze einfahren.

Der siebte Zwerg hat Dienst. Er dreht an einem Besenstiel – könnte aber auch der Griff einer kaputten Schneeschaufel sein –, der in der Nabe eines riesigen verrosteten Zahnrads mit 24 Zähnen steckt. Immer wenn die Zeit umgestellt wird, hat Sonntag Dienst, weil er sich noch in der Probezeit befindet. Außerdem mobben ihn die anderen, weil er als Einziger noch nicht aus der Kirche ausgetreten ist. Durch die gewaltige Last seiner zusätzlichen Aufgabe ist er noch verknitterter und verrußter als die Kollegen.

Er dreht den Besenstiel ganz schnell, weil er eine Stunde schneller drehen muss als sonst. Er schwitzt dabei und flucht, warum sie sich nicht ’ne ordentliche Kurbel leisten könnten, sondern nur dieses blöde Provisorium. Schon seit der letzten Eiszeit gebe es nun diesen Besenstiel … Die anderen Zwerge hören ihn aber nicht, weil sie so laut lärmen beim Kartenspielen. Sie zocken um unheimlich viel Geld, und ständig gibt es Streit.

Wenn die Zeit umgestellt ist, dreht Sonntag im normalen Tempo weiter. Das ist schwierig genug wegen des Besenstiels: Der rutscht immer aus der Hand, und dann gibt es an der Erdoberfläche Erdbeben. Um Mitternacht ist der arme Zwerg mit seiner Schicht fertig: Er geht zum Stehtischchen und verpasst Montag wortlos einen Arschtritt – das Zeichen für Montag, an die Arbeit zu gehen und Sonntag sein Blatt zu überlassen. Die Karten sind klebrig, und die Asse haben die anderen. Lange wird Sonntag das nicht mehr mitmachen – das hat er sich geschworen.

Am Ende der Nachrichten gibt es schließlich doch noch eine Meldung: „Liebe Leute“, sagt der Nachrichtensprecher und guckt wichtig, „heute Morgen ist es dem Zeitzwerg überraschend gelungen, den Bi-Ba-Besenstiel mal ein bisschen schneller zu drehen. Könnte aber auch der Griff einer kaputten Schneeschaufel sein. Auf jeden Fall ist es jetzt, hastenichgesehen, eine Stunde später. Eigentlich sind jetzt also gar keine Nachrichten, aber für heute haben wir noch mal alles beim Alten belassen, damit Sie sich in Ruhe daran gewöhnen können. Hoffentlich passiert das jetzt nicht dauernd, weil sonst werd’ ich echt noch wahnsinnig. Wir kommen zum Wi-Wa-Wetter …“

ULI HANNEMANN

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