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Alltag heißt jetzt: Angst

Die Welle der Attentate hat Israel in den Ausnahmezustand versetzt: Das Sicherheitsrisiko bestimmt das Verhalten

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Für zwei junge Männer aus Israel blieben es kurze Pessach-Ferien. Die beiden stehen an der Rezeption des ägyptischen Hilton-Taba-Hotels und haben es eilig, ihre Rechnung zu bezahlen. „Ich versteh das nicht“, sagt der Hotelmanager. „Nach zwei Jahren Pause kommen die Israelis endlich wieder zum Urlaub, und jetzt reisen sie vorzeitig ab.“ Die beiden Männer am Hoteltresen sind Reservisten und haben Befehl, sich so schnell wie möglich bei ihren Einheiten zu melden. 20.000 Soldaten der Reserve wurden in den vergangenen Tagen zum Dienst an der Waffe gerufen. Israel im Ausnahmezustand. Über 100 Terroropfer in weniger als einem Monat sind Grund für die Großoffensive.

Kaum ein Tag vergeht ohne Gewaltanschlag. Immer weniger ist einzuschätzen, wo es als Nächstes knallen wird. Anfang der Woche starben in der jüdisch-arabischen Stadt Haifa 14 Menschen in einem von Muslimen betriebenen Restaurant. Immer weniger spielt eine Rolle, wer die besten Preise hat, wer mit exklusiven Angeboten aufwarten kann oder mit schmackhaften Menüs. Was zählt, ist, welches Sicherheitsrisiko man auf sich nehmen muss, wenn man essen gehen oder Einkäufe erledigen will. „Geht nicht mehr dorthin, wo keine Wachposten sind“, warnte der Bürgermeister von Haifa die Bevölkerung.

Zumeist privat finanziertes Wachpersonal ist indes seit spätestens Ende letzter Woche fast überall postiert. Auf Parkplätzen prüft es den Kofferraum, an der Tür zum Supermarkt, zum Elektroladen, sogar in einigen Boutiquen kontrolliert es den Inhalt von Taschen und Rucksäcken der Kunden. Viele Kindergärten erhöhten in diesen Tagen die Preise um rund 50 Mark monatlich, um den neuen Sicherheitsposten zu finanzieren. Gute Zeiten für Pensionäre, die häufig für diesen Job engagiert werden. Ob sie die Kleinen im Ernstfall tatsächlich vor einem Angreifer schützen können, ist dabei oft mehr als fraglich. „Er trägt ja nicht einmal eine Waffe“, meint eine Mutter vor dem Kindergarten ihrer Tochter wenig vertrauensvoll. Dazu kommt, dass die jüngsten Attentate auch in einigen schwer bewachten jüdischen Siedlungen stattfanden, was zeigt, dass Sicherheitspersonal die Täter weder abschreckt noch aufhält.

Wer kann, vermeidet Menschenansammlungen, den öffentlichen Verkehr, Einkaufszentren, Märkte und beliebte Ausflugsorte. Lieber in den Tante-Emma-Laden zum Kauf von Milch und Brot statt zum billigeren Supermarkt. Lieber sich bei Freunden zu Hause treffen als in einem Straßencafé. Und lieber mit dem eigenen Auto fahren als mit einem Linienbus. Die Busgesellschaft Egged meldet Einkommenseinbußen von über 10 Prozent. Einzig in gemischt jüdisch-muslimischen Städten, wie Ramle oder Lod, läuft das Geschäft auf den Obst- und Gemüsemärkten fast wie in friedlichen Zeiten, und auch die Restaurants müssen sich vorerst um ihre Kundschaft nicht sorgen. Im Einkaufszentrum von Ramle sitzt eine Gruppe von Kindern vor dem Puppentheater, das wie in jedem Jahr während der PessachtageVorstellungen gibt. Abgesehen von Haifa blieben die ehemals rein arabischen Städte vom Terrorismus bislang verschont.

In Jerusalem und Tel Aviv hingegen herrscht eine Art Belagerungszustand. Die Leute eilen durch die Jaffastraße, wo es wiederholt zu schweren Attentaten kam. Zum Einkauf bleibt trotz des massiven Sicherheitsaufgebots kaum jemand stehen. In den Läden im Stadtzentrum herrscht Flaute. Immer mehr Inhaber melden Bankrott an. Der Staat kommt zwar für den unmittelbaren Schaden infolge von Anschlägen auf, Ersatzzahlungen für die ausbleibende Kundschaft stehen indes nicht zur Debatte. Einzig ein Nachlass von 50 Prozent der städtischen Abgaben ist in Jerusalem zumindest für die Innenstadt im Gespräch. Für die meisten Kleingewerbe wäre das ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dass sich trotz der augenblicklichen Sicherheitslage überhaupt noch Menschen in die Einkaufszentren wagen, mag verwundern. „Sobald ich drin bin, fühle ich mich sicher“, sagt eine etwa 40-jährige Frau, die den Sicherheitsleuten an den Eingängen zum Tel Aviver Dizengoff Center offenbar voll vertraut. In unmittelbarer Umgebung des Einkaufszentrums hatte es in den vergangenen Jahren drei schlimme Attentate gegeben. „Was sollen wir denn machen?“, sagt ein jüngerer Mann vor dem Eingang zu einem Kino, „wir können doch nicht aufhören zu leben.“

Vor dem Zentrum bildet sich unterdessen ein Verkehrsstau. Die Polizei hat die Straße abgesperrt und lässt auch keine Fußgänger mehr durch. Ein aufmerksamer Passant hatte einen verdächtigen Gegenstand gemeldet, der nun mit Hilfe eines Roboters überprüft und im Zweifelsfall in die Luft gesprengt werden soll. Eine Prozedur, die ungefähr eine halbe Stunde dauert und mit der die Israelis nicht erst seit vergangener Woche bestens vertraut sind.

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