: Erst arbeitslos, dann Sozialfall
■ Die derzeit diskutierte Fusion von Sozial- und Arbeitslosenhilfe stürzt jeden zweiten Bremer Hilfe-Empfänger in die Armut, fürchtet der DGB
Bremer Gewerkschafter befürchten einen Kahlschlag in den Kassen von Joblosen und Kommunen, wenn die derzeit diskutierte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe Wirklichkeit wird. In der SPD gibt es Überlegungen, die Zahlung der unbefristeten Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu beschränken und dann ganz zugunsten eines neuen „armutsfesten Eingliederungsgeldes“ abzuschaffen. Um zu demonstrieren, was wirklich auf die Betroffenen zukommt, hat der Bremer DGB jetzt in einer gruselig anmutenden „Auswertung“ Zahlen zur Fusion der Hilfssysteme zusammengetragen. Ergebnis: Jeder zweite Arbeitslosenhilfe-Empfänger im Land würde zum Sozialfall, was wiederum die Kassen der Kommunen zusammenkrachen ließe.
„Eine weitere Absenkung der Arbeitslosenhilfe oder sogar ein Aufgehen in der Sozialhilfe ist für Bremen und Bremerhaven nicht verkraftbar“, sagte die Bremer DGB-Vorsitzende Helga Ziegert. „Erst recht wäre das für die Arbeitslosen nicht zumutbar.“
Nach DGB-Berechnungen wären in Bremen knapp 14.000, in Bremerhaven nochmals 4.800 Personen (Stand Sommer 2001) betroffen, die vom Sozialamt durchschnittlich 524,28 Euro Arbeitslosenhilfe (ALH) bekämen. Bei einer generellen Absenkung der Unterstützung auf Sozialhilfeniveau würde ein Drittel bis die Hälfte der Betroffenen vom Staat überhaupt keine Unterstützung mehr erhalten, rechnet der DGB vor. Sie würden auch aus dem Netz der Sozialhilfe fallen, da das Einkommen von Familienmitgliedern angerechnet würde. Der Rest der Empfänger von Arbeitslosenhilfe müsste sich mit dem „armutsfesten Eingliederungsgeld“ – wie die Sozialhilfeempfänger – zufrieden geben.
„Auch für Bremen und Bremerhaven hätte das schlimme Folgen“, rechnet Ziegert vor. Der Grund: Die Sozialhilfekosten tragen die Kommunen. Ziegert: „Allein in Bremen würde sich Zahl sie Zahl der Sozialhilfeempfänger auf einen Schlag nicht nur um die 7.000 Arbeitslosen, sondern auch um deren Familienmitglieder erhöhen.“ In Bremerhaven rutschten 2.500 Arbeitslose auf Sozialhilfe-Niveau ab und wären dementsprechend von der Stadtkasse abhängig. „Auf beide Städte käme eine Mehrbelastung von rund 50 Millionen Euro zu“, warnt die DGB-Vorsitzende.
In einem Arbeitspapier hatten Bund und Länder am vergangenen Freitag in Berlin laut Spiegel die Zusammenlegung der beiden Hilfssys-teme diskutiert. In einem Stufenmodell sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe erst einander „angenähert“ werden und dann langfristig zu einer neuen „einheitlichen Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums“ verschmolzen werden. Natürlich dürften die Streichungen erst nach den Wahlen schrittweise angegangen werden, um die Gewerkschaften nicht noch weiter zu vergrätzen.
„Natürlich passiert das alles nicht ratzfatz“, sagt auch Ziegert. „Aber mit uns gibt's da auf keinen Fall einen Kompromiss.“ Rückenwind dürfte Helga Ziegert von ihrer Parteigenossin Karin Röpke (SPD), der neuen Arbeitssenatorin, erhalten. „Die Verschmelzung der beiden Sozialsysteme ist sehr kompliziert“, sagte Röpke gestern bei ihrem Antrittsbesuch im DGB-Haus am Bahnhofsvorplatz. Röpke: „Es ist sehr genau zu prüfen, ob die Mehrbelastungen für Leistungsempfänger und Kommunen tragbar sind.“
Klar sei jedoch, dass das System der Arbeits- und Sozialämter „neu strukturiert“ werden müsse, betonte Röpke. Deshalb ist sie auch für eine stärkere Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialamt.
Wie ihr SPD-Landeschef Detlev Albers – und der DGB. „Mit kreativen Kooperationsformen ließe sich Doppelarbeit vermeiden und Effizienz steigern“, sagte Helga Ziegert. Keine Kürzungen, sondern eine Vernetzung beider Verwaltungen sei nötig. Ziegert: „Nicht die Arbeitslosen, sondern die Informationen müssen laufen, wenn wir die Eingliederung der Menschen verbessern wollen.“ Kai Schöneberg
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