Eine Schlappe für den Präsidenten

Bei den Parlamentswahlen in der Ukraine wird das Oppositionsbündnis „Unsere Ukraine“ von Expremier Wiktor Juschenko stärkste Kraft. Trotz massiver Manipulationen landet Kutschmas Truppe nur auf Platz zwei. Westen kritisiert Wahlverlauf

von BARBARA OERTEL

Ein Wahlsieger sieht anders aus. Sichtlich entnervt trat der ehemalige ukrainische Regierungschef Wiktor Juschenko am Montag in Kiew vor die Journalistenmikrofone. „Die Demokatie ist der Verlierer. Das ist die hauptsächliche Niederlage bei diesen Wahlen“, sagte Juschenko.

Dabei hätte der Spitzenkandidat des Parteienbündnisses „Unsere Ukraine“ durchaus Anlass zur Freude, wenn auch verhaltener. Nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen und ersten vorläufigen Ergebnissen von gestern Mittag zufolge wird der Block „Unsere Ukraine“ im neuen, 450 Sitze zählenden Parlament mit 111 Mandaten vertreten sein. Der Block „Für eine einige Ukraine“, verlängerter Arm von Staatspräsident Leonid Kutschma, erreichte 104 Sitze und blieb damit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Ein wahres Fiasko erlebten die Kommunisten. Bisher mit 113 Abgeordneten in der Werchowna Rada vertreten, werden der neuen Fraktion nur noch 67 Mitglieder angehören.

Zudem schafften noch drei weitere Gruppierungen den Sprung über die Vierprozenthürde. Die Sozialisten kamen auf 21 Sitze, genau wie die Partei der oppositionellen Ex-Vizepremierministerin Julia Timoschenko. Auch die Oligarchenclans haben wieder einen Vorposten im Parlament: Die Vereinigten Sozialdemokraten unter dem Unternehmer Wiktor Medwedschuk stellen 22 Abgeordnete.

93 Mandate entfallen auf so genannte unabhängige Kandidaten. Ein Großteil von ihnen dürfte jedoch zum Kutschma-Lager stoßen. Die Wahlbeteiligung lag bei 65 Prozent, wobei in der Hauptstadt Kiew gerade mal ein Drittel der Stimmberechtigten den Weg in die Wahllokale fand.

Aus gutem Grund. Schließlich waren die Ukrainer in den vergangenen Wochen einer Einschüchterungs- und Erpressungskampagne vonseiten der Staatsmacht ausgesetzt gewesen, die im Einzelfall auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckte.

So bezeichnete US-Außenamtssprecher Philip Reeker den Ablauf der Wahl denn auch als „enttäuschend“ und referierte das bekannte Sündenregister. So sei das neue Wahlrecht nicht umfassend umgesetzt worden, die Regierung habe ihre Macht zugunsten der regierenden Parteien missbraucht. Oppositionelle Politiker hätten sich im Wahlkampf nicht ausreichend in den Medien präsentieren können, die Wahlberichterstattung sei in weiten Teilen gegen die Opposition gerichtet gewesen.

Vertreter europäischer Institutionen, wie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), drückten sich, wie so oft, sibyllinisch aus und bezeichneten den Ablauf des Wahltages als „ermutigend“.

Angesichts eines Angriffes auf einen Kandidaten von „Unsere Ukraine“ in Charkow, gestohlener Wahlzettel und Urnen sowie massiven Drucks auf Studenten und Soldaten in mehreren Wahlkreisen, für den Kutschma-Kandidaten zu stimmen, konnten weder Sozialistenchef Alexander Moros noch Wiktor Juschenko viel Ermutigendes feststellen. Moros sprach von „systematischen Fälschungen“, und Juschenko kündigte an, gegen einige Wahlergebnisse zu klagen.

Präsident Leonid Kutschma gab sich pragmatisch. Er kündigte an, das Wahlergebnis respektieren und mit allen „konstruktiven Parteien zusammenarbeiten zu wollen. Überdies schlug er den großen Parteien vor, sich die Regierungsverantwortung zu teilen und ein „breites Bündnis für Unabhängigkeit, Stabilität und Wohlstand“ zu schließen.

Wie auch immer die Konstellation im Parlament aussieht, eins ist klar: Die von Oppositionellen befürchtete Zweidrittelmehrheit für den Präsidenten wird es nicht geben. Damit dürfte Kutschmas Traum von einer Verfassungsänderung, die ihm eine dritte Amtszeit ermöglichen würde, ausgeträumt sein.

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