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Ein bisschen streiken gehört dazu

Warnstreiks in der Metallindustrie. Arbeitgeber mahnen: Hohe Lohnsteigerungen bringen Firmen dazu, aus der Tarifgemeinschaft auszusteigen. IG Metall widerspricht: Unternehmen treten trotzdem in Arbeitgeberverbände ein

von ULRIKE HERRMANN

Ostern ist vorbei – und das Warnstreiken kann weitergehen. Mehr als 1.300 Beschäftigte legten gestern in neun Betrieben in Hannover und Bayern ihre Arbeit nieder.

Doch war dies nur der erste kleine Affront, die IG Metall setzt auf Eskalation: Heute sollen schon 4.500 Mitarbeiter in zehn bayerischen Firmen streiken, morgen sind bereits 55 bayerische Unternehmen betroffen. Ab nächster Woche schließlich finden die Warnstreiks bundesweit statt – denn dann sind Verhandlungsrunden im Tarifstreit der Metall- und Elektroindustrie angesetzt.

Wie es sich für geübte Gegner gehört, geben sich beide Seiten kampfesmutig und siegesgewiss. Streiks? Antiquiert, ein „Ritual für Funktionäre“ – dies findet jedenfalls der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Martin Kannegiesser kündigte im Tagesspiegel eine massenhafte „Tarifflucht“ der Unternehmen an, sollte der Abschluss „zu teuer“ ausfallen. Damit ist gemeint: Die Gehaltssteigerung darf nicht deutlich über jenen zwei Prozent liegen, die die Arbeitgeber für 2002 und 2003 angeboten haben.

Diese Tarifflucht hat der Arbeitgeberverband übrigens mustergültig organisiert: Inzwischen könnten die Unternehmen überall in „Tochterverbände“ von Gesamtmetall wechseln, wirbt Kannegiesser, die „dieselben Leistungen“ anbieten – nur eben billiger, weil sie die Tarifbindung nicht vorschreiben.

Tarifflucht? Die IG Metall bleibt gelassen, fordert unbeirrt 6,5 Prozent mehr Lohn. Gegenüber der taz zitiert ein Gewerkschaftssprecher triumphierend den Geschäftsbericht des Arbeitgeberverbandes Südwest-Metall: Ende 1999 waren dort 1.310 Betriebe mit 528.660 Beschäftigten organisiert, ein Jahr später waren es schon 1.328 Firmen mit 537.702 Mitarbeitern. Die Unternehmen fliehen nicht vor der Tarifbindung – sie kehren zu ihr zurück. Zumindest in Baden-Württemberg. „Wir sind in den Betrieben so gut organisiert, dass wir sie zur Tariftreue zwingen können“, so Frank Stroh von der IG Metall-Südwest. Wer sich nicht am Flächentarifvertrag orientieren wolle, werde als Einzelfirma bestreikt. Im Osten allerdings ist dies nicht ganz so leicht, sind doch weit weniger Arbeiter und Angestellte in den Gewerkschaften verankert. Dennoch rechnet man auch hier nicht mit einer massenhaften Tarifflucht der Unternehmen: Der Anteil der Löhne liege doch überhaupt nur bei etwa 16 Prozent der Gesamtproduktionskosten, „weniger als im Westen“, sagt Marlis Dahne von der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen.

Dies sehen die Arbeitgeber anders. Sie prognostizieren, dass jeder Tarifabschluss, der den Produktivitätszuwachs von etwa zwei Prozent übersteigt, massiv Arbeitsplätze vernichten würde. Ein Argument „bar jeder Realität“, wie der IG-Metaller Stroh findet. Schon beim Tarifabschluss von 1999 habe Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt angekündigt, dass in der Metall- und Elektrobranche 70.000 Arbeitsplätze vernichtet würden. „Aber am Ende sind 34.000 zusätzlich entstanden.“

Wie die Tarifverhandlungen weitergehen – ob mit Streik oder ohne –, das will die IG Metall bis spätestens Ende April entscheiden. Vielleicht entscheiden aber andere für sie: Momentan verhandelt auch die Chemieindustrie. Und schon vor zwei Jahren war man dort schneller, hat mit moderaten Tarifabschlüssen die IG Metall ausgebremst. Der Chef der Chemie-Gewerkschafter, Hubertus Schmoldt, hat bereits angekündigt, dass er die Tarifauseinandersetzungen nicht über Gebühr ausdehnen will. Damit hat er seinem Parteifreund Gerhard Schröder bestimmt einen Gefallen getan.

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