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Freedom and demography

Was ist die Familie wert? (Teil 1): Die Deutschen werden immer weniger. Das ist gut so. Denn der Bevölkerungsrückgang wird der Gleichberechtigung der Geschlechter nutzen

Paare wollen eben eher Nachwuchs, wenn die Kinder möglichst keine Karrierebremsen sind

Wenn Bundestagswahlen anstehen, versprechen die Parteien alles Mögliche. Besonders beliebt sind in letzter Zeit die Familien als Objekt der Beglückung. Von SPD und Union sind vollmundige Versprechen zu hören. Die Grünen, bislang eher eine Singlepartei, wollen mit dem Thema sogar ihren Wahlkampf bestreiten. Die grüne Begeisterung für die Familie mag aus Mangel an anderen Ideen entstanden sein – die entscheidene Frage lautet trotzdem: Wie aussichtsreich ist eine grüne feministisch inspirierte Familienpolitik?

Die Heftigkeit, mit der sich fast alle Parteien derzeit um die Familien bemühen, ist Echo einer tektonischen Verschiebung. Familien- und Frauenpolitik war lange ein „weiches“ Thema, gut für ein menschenfreundliches Image. Wahlen wurden mit anderen Themen entschieden: Wirtschaft, innere Sicherheit, Außenpolitik. Diese Koordinaten verändern sich.

Für den Wandel bei den Grünen gibt es ein wahltaktisches Motiv: dass die Botschaft bei ihrer Klientel, den 30- bis 50-Jährigen, ankommt. Und es gibt einen harten, strukturellen Grund: Wir werden immer älter und bekommen weniger Kinder.

Das wird drastische Auswirkungen auf die Sozialsysteme haben: auf Renten- und Krankenkassen. Wenn weniger Junge für mehr Ältere einzahlen, steigen die Beiträge. Wenn die Beiträge steigen, werden viele, die es sich leisten können, aus den Sozialsystemen desertieren. Eine Spirale nach unten.

Die Frage lautet, wie Politik Bedingungen schaffen kann, um diesen Wandel zu mildern. Mehr Kids für die Rente – das klingt ziemlich unromatisch, ist aber ein legitimes Motiv. Mit „Die Deutschen sterben aus“-Parolen und rassistischer Bevölkerungspolitik hat es nichts gemein.

Allerdings fragt sich, ob mit der Hausse der Familie ein kulturkonservativer Backlash einhergehen wird. Führt das Reden über mehr Kinder zu einem biologistischem Diskurs, zu einem Wertewandel auf Kosten individueller Freiheiten, zu einer Renaissance der Frau als Mutter, zu einem Antifeminismus durch die Hintertür?

Dafür gibt es ein paar wenige Indizien. Demografen reden zum Beispiel selbstverständlich davon, dass Frauen im Schnitt 2,1 Kinder bekommen müssen, damit die Bevölkerung stabil bleibt – Frauen, nicht Männer und Frauen. Das könnte als unsanfter Hinweis darauf gelesen werden, wer für die demografische Krise verantwortlich ist.

Doch Diskurse, in denen die kinderlose, erfolgreiche Singlefrau schuldig gesprochen wird, haben keinen Eingang in das Politische gefunden. Die Erinnerung an das faschistische Mutterideal ist eine Art unsichtbarer Schutz vor einem solchen Rückfall. Und die Idee (wenn auch nicht die Praxis) der Gleichberechtigung ist in fast alle Ritzen der Gesellschaft eingedrungen – bis in die Bundeswehr. Auch Konservative können „Frauen zurück an den Herd“-Parolen nur bei Strafe des eigenen Untergangs bei den Wahlen vertreten.

Vor allem aber hat die Gleichberechtigung einen mächtigen, vielleicht den mächtigsten Verbündeten überhaupt: den Zwang der Verhältnisse – nicht trotz, sondern wegen des demografischen Wandels. Ein Blick in andere EU-Staaten zeigt: Wo viele Frauen arbeiten, etwa in Dänemark und Finnland, ist der demografische Bruch milde; dramatisch ist er, wo wenig Frauen arbeiten, wie in Spanien und Italien. Die Berufstätigkeit der Frauen für den „Babymangel“ verantwortlich zu machen ist nicht nur eine Ideologie von vorgestern – empirisch ist das exakte Gegenteil der Fall.

Auch die Ehe, eiserner Anker konservativer Familienpolitik, ist demografisch gesehen eine zwiespältige Veranstaltung. Der französische Demograf Hervé Le Bras hat auf einen interessanten Zusammenhang aufmerksam gemacht: Wo die Ehe viel gilt, wie in Italien und Spanien, gibt es wenig Kinder – wo uneheliche Paare und Alleinerziehende kulturell anerkannt sind, wie in Skandinavien und Frankreich, sind die Geburtenraten weit höher. Wo Kind gleich Ehe gleich Karriereknick bedeutet, verzichten Frauen lieber ganz auf Nachwuchs.

Ob man Kinder will oder nicht, ist eine höchst individuelle Entscheidung, beeinflusst von komplexen Motiven, Ängsten und Wünschen. Wie es um die Kitas und Ganztagsschulen bestellt ist, wie viel Geld der Staat bezahlt, ist nur am Rande von Belang. Man muss also vorsichtig mit Verallgemeinerungen sein; die demografischen Effekte von Familienpolitik sind kaum berechenbar. Trotzdem gilt: Paare wollen eher Kinder, wenn sie möglichst keine Karrierebremsen sind. Frauen wollen eher Kinder, wenn sie für deren Wohl und Wehe nicht ganz allein verantwortlich sind.

Das klingt banal, ganz taufrisch sind diese Erkenntnisse auch nicht. Neu ist, dass diese Idee, unter dem Druck der Demografie, vom irgendwie Wünschenwerten zu harter Politik werden muss.

Es existiert eindeutig ein demografisch forcierter Zwang zu mehr weiblicher Erwerbsarbeit und Gleichberechtigung. Die Prognose ist klar: Die Zahl der Erwerbstätigen wird von heute 41 Millionen auf 38 Millionen 2010 sinken. Dann werden Facharbeiter fehlen. Unternehmerverbände ventilieren schon seit längerem die Idee, dass es ökonomisch gesehen Unfug ist, Frauen ausbilden und studieren zu lassen – damit sie hinterher daheim bleiben. Wenn mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, wird man wohl oder übel mehr auf deren Bedürfnisse eingehen. Für die Unternehmen heißt das: mehr Teilzeitjobs, Betriebskindergärten (die derzeit noch heftig abgelehnt werden) und flexiblere Arbeitszeiten. Für die Politik: mehr Geld für Kinderbetreuung. Der demografische Zwang kann gewissermaßen zu einem Feminismus durch die Hintertür führen. Die Farbe Lila könnte wieder in Mode kommen.

In liberalen, flexiblen Gesellschaften ist streng konservative Familienpolitik ein Auslaufmodell

In liberalen, flexiblen, hedonistischen, entritualisierten Gesellschaften mit Nachwuchssorgen ist streng konservative Familienpolitik ein Auslaufmodell. Sie scheitert an den Fakten und liegt quer zu den Interessen von Unternehmern, Gewerkschaften und gut ausgebildeten Frauen.

Stoibers Wahlkampf bewegt sich unverdrossen auf der alten Linie. Er will das Kindergeld drastisch erhöhen. Das wird teuer und klingt ein bisschen nach einer Prämie fürs Daheimbleiben. Wie bei der Zuwanderung verengen bei der Union ideologische Scheuklappen den Blick.

Die Linke, die grüne Partei voran, hat die richtige Analyse – Familie ist da, wo Kinder sind – und die richtige Forderung: Mehr Geld für Betreuung, um weibliche Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Im Zentrum der neuen (Post-)Familienpolitik müssen weibliche Selbstverwirklichungsansprüche stehen. Für die programmatisch derzeit ziemlich ausgetrocknete Linke ist dies eine verlockende Aussicht: Sie kann das Notwendige, eine Antwort auf den demografischen Druck zu finden, mit der Idee der Emanzipation verbinden. Freedom and demography. Wahlversprechen unter Finanzierungsvorbehalt reichen da allerdings nicht mehr.

STEFAN REINECKE

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