Warten auf den ersten Misthaufen

Sakrileg, Skandal, Boykottaufrufe: In Österreich herrscht Aufruhr, seit sich Christoph Schönborn, der Kardinal von Wien, über eine unautorisierte Jesus-Biografie des Linzer Cartoon-Zeichners Gerhard Haderer echauffiert hat

Im Kulturkampf fallen Vergleiche mit der islamischen Welt und der Judenverfolgung

Das Büchlein, das zurzeit die Alpenrepublik beschäftigt, hat 40 Seiten, zahlreiche bunte Zeichnungen sind darin zu finden. In einem bunten Bilderbogen und mit launischen Texten wird in „Das Leben des Jesus“ die Vita des Menschensohnes nacherzählt, Jesus erscheint darin nicht als ans Kreuz genagelter Schmerzensmann mit heiliger Mission, sondern als milde bekiffter Altachtundsechziger mit fettem und strähnigem Haar, dessen Wunder sich nicht göttlicher Fügung, sondern der berauschenden Wirkung von Weihrauchschwaden verdanken. Der Gang über den See ist eine gut gelaunte Surferveranstaltung, die wundersame Fischvermehrung ein Bootsunglück, das letzte Abendmahl ein rauschendes Fest. Das Ende der Geschichte findet dann auch im Himmel statt – auf einer riesigen Weihrauchwolke.

Ein harmloser, mittels lustiger Zeichnungen vermittelter Spaß, könnte man meinen.

Seit der ansonsten gemäßigte Kardinal von Wien, Christoph Schönborn, just zur friedvollen Osterzeit in der konservativen Tageszeitung Die Presse das druckfrische Bilderbuch des Linzer Zeichners Gerhard Haderer, 51, aber als „Verhöhnung des christlichen Glaubens“ geißelte, ist in Österreich der Kulturkampf eröffnet. Mit heiligem Ernst und in zunehmend skurrileren Dimensionen wird nun darüber gestritten, ob es Haderer überhaupt erlaubt sei, eine unautorisierte Biografie des Herrn zu schreiben. Es ist wieder mal etwas faul im Staate Österreich.

Die Kronen Zeitung, das den österreichischen Zeitungsmarkt beherrschende Boulevardblatt, trommelt seitdem gegen das Buch. Wie eh und je macht sich das Blatt, worin Kardinal Schönborn eine ständige Kolumne hat, im Kampf um die Rettung des Abendlandes verdient und gab sogleich eine Umfrage unter dem Kirchenvolk in Auftrag. Recht eindeutiges, nicht allzu überraschendes Ergebnis: Das „Jesus-Spottbuch“ sei sofort aus den Regalen der Buchhandlungen zu entfernen. „Über Gott lacht man nicht“, donnerte auch der konservative Salzburger Weihbischof Andreas Laun von der Kanzel, diese Jesusinterpretation sei nichts Geringeres als „eine verbal bösartige Revolte gegen Gott“. Der öffentliche Friede sei gar gefährdet: „In den Zwanzigerjahren hat auch niemand geglaubt, dass 20 Jahre später Auschwitz stattfinden wird. Die Verächtlichmachung der Religion führt sehr schnell zu einer aggressiven Grundeinstellung, der nächste Schritt ist dann die Verfolgung“, ließ der wortgewaltige Bischof das Nachrichtenmagazin profil wissen.

In den Leserbriefspalten ereifern sich wehrhafte Christen ob des „üblen Machwerks“. Man möge, so der Tenor, Haderer doch bitte schön ins Gefängnis stecken, noch besser wäre nur, der Cartoonist, der regelmäßig Satirisches für Zeitschriften wie Stern oder Geo anfertigt, würde auswandern. Mit eruptivem Zorn werden auch Vergleiche zur islamischen Welt gezogen: „Geschähe desgleichen mit Mohammed, stünde Herr Haderer auf der Todesliste.“

Katholische Privatschulen werden in Zukunft den Ueberreuter Verlag, wo das Buch erschien, beim Bestellen von Schulbüchern boykottieren, solange der Verlag Haderers vermeintlicher Gotteslästerung nicht abschwört. Der Verlag wiederum kommt mit dem Drucken nicht nach (50.000 Exemplare sind bereits im Umlauf) und lässt seinerseits medienwirksam anfragen, ob nach den Drohungen entrüsteter Katholiken Polizeischutz möglich sei. Mittlerweile wird geprüft, ob der Paragraf 188, der die Herabwürdigung religiöser Lehren mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten ahndet, erfüllt sei, die Wiener Staatsanwaltschaft hat nach sechs Anzeigen Ermittlungen eingeleitet.

Stündlich, so lässt hingegen Gerhard Haderer wissen, erwarte er, dass jemand vor seiner Tür „einen Haufen Mist“ ablade – seit den Skandalen um den Schriftsteller Thomas Bernhard ist die ungefragte Zulieferung von Müll in Österreich ein probates Mittel, seinem Zorn Ausdruck zu geben.

In all dem Getöse hat bislang nur Armin Thurnher, Herausgeber der kleinen Wiener Stadtzeitung Falter, einen halbwegs kühlen Kopf bewahrt. „Ich komme aber nicht umhin festzustellen, es fehlt im Lande an einem Gefühl für Verhältnismäßigkeiten, für das richtige Maß der Dinge“, schreibt Thurnher in einem Kommentar zur Causa prima, wie so oft könne man hierzulande „zwischen einem Skandal und einer lässlichen Sünde“ nicht unterscheiden: „Jeder Furz kann unseren öffentlichen Raum dominieren, wichtige Themen müssen auf den Zufall hoffen, um den gleichen Raum zu bekommen.“ WOLFGANG PATERNO

Gerhard Haderer: „Das Leben des Jesus“. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2002, 14,90 €