: Das Märchen von der Toleranz
■ Homosexualität ist noch immer ein Grund zur Diskriminierung. GAL wendet sich gegen Sparpläne beim JungLesbenZentrum
Deutschland heute: „Natürlich bin ich traurig, dass meine Tochter sich umgebracht hat. Aber andererseits bin ich die Schande los“, sagt eine Mutter. Die Tochter war lesbisch. Gesagt hat die Mutter das zu Sigrid Pusch, Vorsitzende des Bundesverbandes der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen. Sie und ihr Mann sind Eltern eines schwulen Sohnes und bei der Vereins-Arbeit erleben sie täglich, dass es noch immer eine Mutprobe ist, wenn schwule und lesbische Jugendliche ihrer Umwelt mitteilen, wie sie fühlen, und dass Homosexualität auch heute noch ein Grund ist, diskriminiert zu werden.
Der Hamburger Senat behauptet das Gegenteil und will dem Jung-LesbenZentrum die Hälfte ihres jetzt noch 77.000 Euro-Etats streichen. „In jeder Fernsehsendung gibt es Schwule, es gibt zumindest einen regierenden Bürgermeister, der öffentlich zu seinem Schwulsein steht. Das legt den Schluss nahe, dass Homo- oder Bisexualität heute gesellschaftlich akzeptiert ist“, sagt Professor Thomas Hofsäss vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg. Dass das falsch ist, kann er wissenschaftlich belegen: „30 bis 50 Prozent dieser Jugendlichen berichten von direktem Ausschlussverhalten ihrer gleichaltrigen Bezugsgruppe“. Die Folge: Homo-, bisexuelle und transgender-Jugendliche haben erhöhten Drogenkonsum, leiden häufiger unter Essstörungen und jeder Fünfte von ihnen hat schon einen Suizidversuch hinter sich, gegenüber jedem 20. bei den gleichaltrigen Heterosexuellen.
Und obwohl Beratung und Ansprechpartner außerhalb der Familie deshalb besonders wichtig seien, wolle Hamburg für diese Gruppe junger Menschen nur noch etwa 38.000 Euro jährlich ausgeben, etwa so viel wie Lissabon. Berlin hingegen räumt dem Thema jährlich 400.000 Euro ein. Und in Köln habe man längst ein schwullesbisches Jugendzentrum eingerichtet.
Die 17-jährige Isabelle ist eine von denen, die im JungLesbenZentrum Hilfe gefunden haben. „Meine Familie hat auf mein Coming Out toll reagiert, aber in der Klasse habe ich den guten Stand verloren, den ich vorher hatte.“ Auf der Straße wurde sie manchmal beschimpft. „Im JungLesbenZentrum habe ich gelernt, mit diesem Reaktionen umzugehen.“ Und auch die 21-jährige Britta sagt: „Wenn es das JungLesbenZentrum nicht gegeben hätte, wäre ich heute sicher viel weniger selbstbewusst.“ Besonders geholfen haben ihr die Einzelberatungen. Die wird es nun künftig nicht mehr geben. Weggespart. Der GAL-Abgeordnete Farid Müller: „Wir werden beantragen, dass der Senat diese Kürzungen zurücknimmt.“ Sandra Wilsdorf
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