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Die Einsamkeit der Millionäre

„Leben nach Microsoft“ porträtiert sechs Programmierer, die bei Bill Gates so viel Geld verdienten, dass sie heute nicht mehr arbeiten müssen. Doch das ist ein trübes Glück. Ein Einblick in die Psychologie der „New Economy“ (20.45 Uhr, Arte)

„Microsofties sind jung, weiß, haben keine Kinder und keine Freundin“

von STEFAN REINECKE

Walt Moore ist ein freundlicher, melancholischer Mittvierziger. Bei Microsoft hat er Windows 1 mitentwickelt. Dann kam die Krise. Er war nicht mehr schnell genug. „Ich wurde zu Gemüse. Ich konnte nicht mehr programmieren.“ Jetzt sitzt er in einer viel zu großen Villa und erinnert sich an die Zeit, als er noch ein Held war: Akteur einer technologischen Revolution. Heute hätte er gerne Kinder, aber irgendwie ist es dafür mittlerweile zu spät. Und früher, als er noch bei Microsoft arbeitete, war dafür keine Zeit.

„Leben nach Microsoft“, von Corinna Belz und Regina Schilling sorgfältig inszeniert, porträtiert ein halbes Dutzend Ex-Microsoft-Programmierer in Seattle. In den 90er-Jahren, als das Geschäft boomte, verließen sie als Millionäre die Firma. Viele freiwillig, manche, weil sie den Druck nicht mehr ertrugen. Sie verkörpern den kollektiven Traum des Westens: nämlich mit Mitte dreißig nicht mehr arbeiten zu müssen. Doch es ist ein anstrengendes, verkrampftes, ein graues Glück.

„Es fällt schwer, so viel Zeit zu haben“, sagt eine ehemalige Programmiererin. Damals, bei Microsoft, gab es nur Arbeit – und nebenbei nicht viel. Heute kämpft sie gegen ein unsichtbares Sinnloch und chauffiert ihre kleine Tochter verbissen vom Tanz- zum Kunstkurs. Andere haben ihren Reichtum inzwischen in der New-Economy-Baisse wieder versenkt.

Materiell gehören diese Figuren zur Upperclass, mental sind viele arbeitslos. Und trauen sich kaum zu erzählen, was sie tun: nämlich nichts. Irgendwie scheinen sie erst im Rückblick zu begreifen, wie sehr Arbeit die US-Gesellschaft prägt. Viele fühlen sich schuldig, weil sie reich sind, ohne dafür im Schweiße ihres Angesichts schuften zu müssen. Die puritanische Tradition ist auch in den postmodernen USA noch ziemlich lebendig.

Diese Biografien wirken nur auf den ersten Blick exotisch. In vielem sind sie durchaus typisch für die Start-up-Ökonomie. Sie sind die Luxusverlierer der neuen juvenilen Arbeitswelt, in der man in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld verdienen kann. Doch Erfahrung zählt nicht viel, und dort alt zu werden, ist schwierig. Das rasante Tempo der technologischen Schübe diktiert den Rhythmus.

Wer bei Microsoft arbeitet, ist „jung, weiß, hat keine Freundin, keine Kinder und beschäftigt sich eigentlich jede wache Minute mit der Firma“, sagt einer. Wer zu langsam ist, fliegt raus. In gewisser Weise sind diese traurigen Millionäre Opfer der Bill-Gates-Ökonomie, dieser Mixtur aus rabiatem Frühkapitalismus und lockerer, studentischer Feel-Good-Atmosphäre.

Die Arbeitswelt ist in Dokumentarfilmen selten geworden. Das hat zwei Gründe: Das Proletariat hat als Projektionsfläche für Intellektuelle ausgedient, und die Arbeit selbst hat sich verändert. In den neuen Technologien ist die Arbeit nahezu körperlos und unsichtbar geworden. In einer Fabrik kann die Kamera zeigen, was wie produziert wird – in der postindustriellen Arbeitswelt hingegen herrscht für Dokumentarfilmer ein notorischer Mangel an Bildern, die wirklich sichtbar machen, was geschieht.

Eine typische, falsche, ästhetische Antwort auf diesen Umstand zeigt der zweite Film des Arte-Themenabends. Norbert Buses „Nullen und Einsen“ ist ein zerfahrenes Porträt von drei Berliner Webgestaltern. Den Bildermangel der neuen Technologie versucht Buse mit optischen Aufhellern, mit Handkamera, überflüssigen Kreisfahrten und kunstgewerblich aufgehübschten Bildern zu kompensieren. Die Kamera rückt den Figuren ganz nahe auf den Leib – und sieht nichts.

Belz und Schilling nähern sich von außen. Das ist klug: Von der Computerarbeit sieht man wenig, vom Microsoft-Campus nur ein paar atmosphärische Impressionen. Die Wahrheit ist ohnehin nicht in den Bildern programmierender Microsofties zu finden. Schade ist allerdings, dass der Film auf Untertitel verzichtet und anstelle dessen mit Voice-over arbeitet – auch wenn das einigermaßen geschickt und sparsam dosiert ist.

Indem die rückblickende Reflexion ins Zentrum rückt, öffnet „Leben nach Microsoft“ einen Blick in die Mythologie der Hightech-Branche, in ihr inneres Getriebe, das nicht nur durch Rationalität in Schwung gehalten wird. Die Erzählungen kreisen immer wieder um Bill Gates. Einer verließ Microsoft, machte sein eigenes Business auf und scheiterte an der Konkurrenz: Bill Gates. Ein anderer sagt: „Seit ich Bill Gates getroffen habe, bin ich ehrgeiziger und aggressiver geworden.“ Gates ist die Figur, die alle zu hassen lieben. Er ist das anwesend Abwesende, ein Magnet, der die Figuren in seinem Kraftfeld fesselt.

Microsoft ist kein Job, sondern Sinn. „Programmieren ist Macht“, sagt einer. „Es ist die totale Kontrolle. Es ist Leben“. Da klingt eine religiöse Färbung durch. Wahrscheinlich kann man das „Leben nach Microsoft“ nur verstehen, wenn man diese Untertöne hört. Die Ex-Microsofties vermissen mehr als die soziale Anerkennung, die mit der Arbeit verloren ging: Ihnen fehlt das Gefühl, Teil einer historischen Gründung, einer säkularen Schöpfungsgeschichte zu sein, in der wir uns Bill Gates als virtuelle Vaterfigur vorstellen dürfen.

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