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Verblassende Verbundenheit

Letzter einer aussterbenden Art: Bei seinem Gastspiel in Berlin vereinte der serbisch-dissidente Rockchansonnier Djordje Balašević noch einmal die alte Mittelschicht Exjugoslawiens auf sich

von RÜDIGER ROSSIG

Würde Djordje Balašević auf Deutsch singen, wäre er wohl nur ein weiterer Grenzgänger zwischen Chanson und Rockballade. Und wären da nicht gelegentlich diese Zigeunergeige und eine gewisse Melancholie in seinen Songs, er würde seinen Platz finden im weiten Feld zwischen Udo Jürgens und Wolfgang Niedecken. Doch das Schicksal hatte andere Pläne: Es hat ihn 1953 im nordserbischen Novi Sad zur Welt kommen lassen und seine Karriere im ehemaligen Jugoslawien angesiedelt. So hat es Djorde Balašević zum Sänger einer aussterbenden Art bestimmt.

Denn Balašević repräsentiert die alte Mittelschicht des ehemaligen Jugoslawiens: eine Schicht, die mit Beginn der Balkankriege 1991 unwiderruflich ihren Ort verlor. Wer im alten Jugoslawien etwas auf sich hielt, der orientierte sich an Westeuropa, las Weltliteratur, schaute US-Filme und schickte seine Kinder auf höhere Schulen. Mit Balkan-Folklore à la Kusturica hatte diese Mittelschicht nie viel am Hut, und vor Krieg und Nationalismus emigrierte man nach Paris, Madrid, London, Frankfurt oder eben nach Berlin. In dieser Diaspora geraten Gastspiele von Djordje Balašević gerne zu deren letzten Sammelbecken.

Zu seinem Berliner Auftritt im neuen Tempodrom hatte es allerdings gerade mal 600 Zuhörer verschlagen, dafür setzte sich das Publikum aus allen Altersstufen, zwischen 20 und 60, und aus allen Teilen des zerfallenen Landes zusammen. „Ich bin aus der gleichen Stadt wie Balašević und Lokalpatriotin“, sagt mit hörbarem Vojvodina-Akzent eine Vierzigjährige, die schon seit 25 Jahren in Berlin lebt. Der junge Kroate neben ihr ist dagegen nur zu Besuch in Berlin: „Wir hatten in den letzten Jahren nicht oft die Gelegenheit, Balašević zu hören.“ Und ein Bosnier, als Flüchtling in Deutschland, meint auf die Frage, was ihn zum Konzert eines serbischen Stars gezogen habe, nur lapidar: „Weil dieser Serbe ein Bosnier ist.“

Dabei ist Djordje Balašević natürlich kein Bosnier, sondern durch und durch geprägt von der einst ebenso multiethnischen Vojvodina. Aber er war einer der ersten serbischen Musiker, die nach Ende des Krieges wieder in Sarajevo auftreten konnten. Und nicht nur dort: Auch in Tuzla, im kroatischen Split und in Sloweniens Kapitale Ljubljana waren die Hallen ausverkauft. Nicht vielen Stars aus Serbien wäre es so ergangen. Doch Balašević stand in Belgrad knapp elf Jahre lang in offener Gegnerschaft zum Milošević-Regime und war zeitweise untergetaucht, um seiner Einberufung in die jugoslawische Armee zu entgehen. So gilt er als Serbe, der sauber geblieben ist: auch ein Grund, weshalb er noch immer in allen Teilen Exjugoslawiens Anklang findet.

Dass sich zu seinem ersten Auftritt in Berlin gerade mal die Manege des Hallenrunds gefüllt hat, nimmt Balašević mit Humor: „Wenn ihr mehr wärt, kämen die Deutschen wahrscheinlich zu uns zum Arbeiten“, witzelt er auf Serbokroatisch, ein anderes Mal mahnt er: „Macht langsam, Leute! Milošević hat prophezeit, dass wir in 250 Jahren in einem sehr wohlhabenden Land leben werden. Ich kann warten!“ Seine Sprüche werden mit verständigem Lachen aufgenommen: Man ist unter sich und versteht sich.

Zum Chanson mit Klavierbegleitung klatscht das Publikum artig, der Künstler verbeugt sich. Später bekommt er Verstärkung durch Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboards und Saxofon. Dann gehen die ersten Feuerzeuge an, und ein paar junge Frauen beginnen, zwischen den Stuhlreihen zu tanzen. „Morgen werden wir aus der Stadt, in der die Mauer gefallen ist, zurückfahren, dorthin, wo neue Mauern errichtet werden“, sagt Balašević zum Abschied mit betont beiläufigem Pathos. „Dort werden sie uns fragen: Na, wo wart ihr denn wieder? Wir aber werden ganz cool antworten: nur bei unseren Leuten.“ So beschwört der Sänger ein verblassendes Gefühl der Verbundenheit, vielleicht auch Wehmut nach vergangener Einheit.

Nach dem Konzert gibt er backstage noch Interviews, fast alle Medien Exjugoslawiens sind vertreten. Was hat sich, eineinhalb Jahre nach dem Ende der Milošević-Ära, für ihn geändert? „In den vergangenen elf Jahren stand ich sehr stark unter dem Einfluss dessen, was politisch passiert ist“, erklärt Balašević, „um genau zu sein: Ich habe sogar Inspiration aus dem Zusammenbruch Jugoslawiens gezogen und einige gute Lieder geschrieben. Aber es waren ekelhafte, arme Jahre.“ Seit Milošević’ Sturz würde Djordje Balašević die Politik gerne wieder möglichst weit aus seinem Leben hinausdrängen. Auch damit dürfte er sich ganz im Einklang mit seinem Publikum befinden.

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