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Schwedische Bauchwelle

Dank HipHop wurden Zwölfjährige zum Retter eines umfassenden Kulturbegriffs. Oder doch nicht? Sieht es nicht eher wie Leistungssport mit Musik aus? Das Gastspiel „Bounce“ im Tempodrom weckt Zweifel. Es fehlt der Geist der Straße

Am Anfang war die „Blockparty“ in der Bronx, Ende der Siebziger. Da trafen sich die Teenager der schwarzen Nachbarschaft auf der Straße, hörten Musik – Philly Soul, Motown, Disco Funk – und breakten. Dann fingen die ersten Djs, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa, an, Vinylplatten zu scratchen, zu cutten, die Struktur der einzelnen Songs aufzuschneiden und mit Elementen anderer Stücke neu zu kombinieren. Dann kamen MCs wie Kurtis Blow und rappten zum neuen Sound der Bronx. HipHop war geboren.

Dass HipHop nicht eigentlich ein Musikstil, sondern vielmehr eine eigene Kultur mit Graffiti-Spraying, Dress Code und speziellen Tanzformen ist, weiß heute, dank kommerziellem Musikfernsehen, jeder Zwölfjährige. Und was „Streetdance“ betrifft, muss man nur in Britney-Spears-Videos schauen, um zu sehen, dass es sich dabei um einen eklektizistischen Mix verschiedener Bewegungsformen handelt. Da erstaunt es umso mehr, dass gerade jetzt ein schwedisches HipHop-Spektakel die Herzen der Großstädter erobern will. „Bounce – The Streetdance Sensation“ heißt die Produktion aus dem Abba-Land. Regisseur Anthony van Laast jagt seine Kompanie 90 Minuten ohne Unterlass über die Bühne.

Heraus kommt dabei eher Leistungssport. Die sechzehn jungen Tänzerinnen und Tänzer springen, drehen sich auf ihren Schultern und Köpfen, machen Bauchwellen am Boden, Flic Flac, und Einhandstände. Sie tanzen in der großen „Chorus Line“ mit Sneakers und XXL-T-Shirts, schön synchron und schön mit gebeugten Knien, zum Boden strebend. Sie zeigen die Stile „Breaking“, „Locking“, „Popping“, „Lindy“, „Boogaloo“, damit man nur ja nicht die Vielfalt des HipHop verpasst.

Das lässt sich eine Weile lang gut anschauen, man kann johlen, und sich mit den falschen B-Boys auf den eigenen Schulhof zurückversetzt fühlen. Man kann sich am Anblick der biegsamen und muskulösen Körper satt sehen und das akrobatische Talent bestaunen. Das reicht aber nicht für eine Inszenierung, die „Streetdance“ als Phänomen und Ausdrucksform transportieren will.

Der spirituelle Background des HipHop und die politische Dimension der „Straßenkunst“ werden mit keinem Sterbenswörtchen, keiner Geste benannt. Ebenso wenig fällt auch nur ein einziges kritisches Schlaglicht auf die Kommerzialisierung des Genres in den letzten zehn Jahren. Auch ergibt die knallige „Streetdeance Sensation“ keinen Sinn für denjenigen, der eine Erzählung erwartet, wie abstrakt auch immer sie sein möge. „Bounce“ transportiert nichts außer dem augenblicklichen Bild einer Bewegung, und selbst die ist ja von MTV her bekannt. Zwischen den erschöpfenden Tanznummern spinnt sich keine erkennbare Dramaturgie, und die wenigen narrativen Einfälle des Stücks versacken in der alles überflutenden Soße aus fettem Sound und stampfendem Schritt. Bemerkenswert ist auch, dass die eingespielten Tracks nicht die Radiohits des HipHop sind.

Das liegt sicher nicht an dem Independent-Anspruch der Regie, weniger bekannte Künstler hörbar zu machen, sondern eher an den Verkaufsrechten der Plattenindustrie. Und so hören wir die im Programmheft angekündigte Missy Elliott mit „Get Ur freak up“ nur einige Sekunden, ebenso „The Message“ von Grandmaster Flash oder „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa.

„Bounce“ ist Musik für die Massen, ein teenagerkompatibler Tanzzirkus mit hoch talentierten Darstellern, treibender Musik, und saftiger Lichtshow. Entertainment von der schnellen Sorte. JANA SITTNICK

„Bounce“, Do bis So, 20 Uhr, Tempodrom, Kreuzberg

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