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Am Spaghetti-Träger durch den Freiraum

■ Das Nienburger Theater-Projekt „s'putnike“ bringt osteuropäische und deutsche Jugendliche unter professionellen Bedingungen auf eine Musical-Bühne. Nach einer Süddeutschland-Tour kommt „Go Go to Amerika“ in die Glocke

Bauchfrei muss schon sein. Oder, wahlweise, Hot Pants, dazu Spaghetti-Träger mit tiefem Ausschnitt. Über die Schultern fällt langes, offenes Haar. Bleibt nur zu hoffen, dass es warm ist auf der Bühne: Die Mädels müssten sonst frieren. Andererseits bewegen sie sich ja, sie tanzen. Für uns. Auf Initiative des Vereins „Christliches Jugenddorf Deutschland“.

Weitere Förderer sind unter anderen: Das Bundesverwaltungsamt, die Stiftung deutsche Jugendmarke e.V., die Lottostiftung und Werder–Bremen–Star Marco Bode. Alle sind sie begeistert. Nur „von der Frauenbeauftragten der Stadt Nienburg gab es einen blauen Brief“, so Organisator Sven Kühtz. Sie hatte sich ein Projekt zur Integration osteuropäischer Aussiedler anders vorgestellt. O tempora, o mores.

In der Tat ist es dem Jugendtheater „s'putnike“ wichtig, ein zeitgemäßes Projekt auf die Beine zu stellen. Das Konzept ist, dass 15- bis 19-jährige Jugendliche aus der ehemaligen UdSSR, aus Polen und aus Deutschland zusammen ein Musical auf die Bühne bringen. Und zwar ein eigenes, selbst entwickeltes und – natürlich – selbst gespieltes. Marco Bode: „Was mich überzeugt hat war, dass dieses Projekt den Jugendlichen Freiräume lässt.“ Zu diesen Freiräumen gehört auch, dass die „s'putnike“-DarstellerInnen ihre Kleidung auf der Bühne selbst aussuchen. Bauchfrei muss schon sein.

Außerdem hängt der Plot ihres Stücks „Go Go to Amerika“ tendenziell an einem Spaghetti-Träger: Eine Gruppe Jugendlicher träumt von einer Starkarriere und bereitet sich auf ein Casting vor. Gut aussehen zählt. Entscheidend ist aber, dass die Konkurrenzsituation zur Cliquenbildung führt: Die Einheimischen organisieren sich als „Die schwarzen Salamander“, die AussiedlerInnen als „Die roten Wings“. Trotz verhärteter Fronten entwickelt sich eine Mädchen-freundschaft zwischen den Lagern. Es gibt Annäherung, Intrigen, Liebe, Hass, Kampf und einen Show-Down beim Casting. Alles dargeboten in der unverblümten Alltagssprache der Jugendlichen, verpackt in eigens komponierte Songs und inszeniert unter professionellen Rahmenbedingungen.

„Go Go to Amerika“ ist das zweite Stück des Theaters „s'putnike“, angefangen haben Organisator Sven Wieland Kühtz und Leiter Hans Klusmann-Burmeister 1997 mit dem Stück „on the road“. Dass das Theater wächst, dass ihm in Nienburg sogar einen eigenes Theater zur Verfügung steht und vergangenes Jahr eine 18-tägige Tournee in Süddeutschland möglich wurde – das liegt am offensichtlich perfekten Kulturmanagement von Hans Klusmann-Burmeister. „Angefangen haben wir 1997 mit 36.000.- Mark aus einem Topf des Innenministeriums für Ausländerintegration. Mittlerweile sind wir alles in allem bei einer halben Million Mark im Jahr.“ Die Sponsorenliste ist lang und geplant ist, wonach so ein Projekt früher oder später schreien muss: Die Gastspielreise nach Osteuropa. Während in Deutschland die Gastspiele in den Schulen der Republik intensiviert werden sollen.

Dabei ist für die DarstellerInnen mit 30 Euro pro Aufführung sogar eine kleine Gage drin. Soviel zur Anerkennung am Rande. Der Haupteffekt aber ist – abgesehen von der Annäherung zwischen den Kulturen – ein anderer: „Es soll eine Imageaufbesserung der Jugendlichen sein.“, so Klusmann-Burmeister.

Mehr Image heißt mehr Selbstwertgefühl. Und davon hat Darsteller Jotti Vassias, 18, schon was mitgekriegt: „Ich würde das, was die im Fernsehen machen, auch alles hinkriegen. Nur weiß ich nicht, wie man da hin kommt, wen ich da ansprechen soll.“ Vielleicht Marco Bode und Jens Todt vom VFB Stuttgart, die nach der Aufführung in der Glocke anwesend sein werden um sich mit allen Interessierten Gedanken zu machen über die Zukunft von „s“putnike“. Jakob Flex

am Sonntag, 21. April, um 20 Uhr in der Glocke. Karten Tel.: 35 36 37

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