: „Stellt euch vor, ihr seht hier unten …“
Früher gab es nichts Entspannenderes als Referaten im Halbschlaf zu lauschen. Doch die Verwendung ausgefeilter technischer Hilfsmittel hat das empfindliche Gleichgewicht der Lehrveranstaltungen aus der Balance gebracht
Referate an der Uni sind normalerweise ideal für alle Beteiligten, vielleicht mit Ausnahme der jeweiligen studentischen Referenten. Der Dozent braucht nichts vorzubereiten und kann sich darauf beschränken, den Vortrag mit lehrreichen Bonmots anzureichern oder sich gleich dem Gros der Zuhörer einem gesunden Mittagsschläfchen zu widmen.
Dafür müssen – Gentlemens’ Agreement – die Referenten ein zusammenfassendes Thesenpapier liefern. Das gibt den Anwesenden das beruhigende Gefühl, zumindest etwas aus der Veranstaltung mitgenommen zu haben. Alternativ werden Folien als Kopiervorlage zur Verfügung gestellt, wenn die Vortragenden das Instrument des Tageslichtschreibers zum pädagogischen Einsatz bringen. Die Verwendung noch ausgefeilterer technischer Mittel stört das empfindliche Gleichgewicht der Lehrveranstaltung jedoch empfindlich. Nichts ist schlimmer als selbst ernannte Spezialisten, die ihre Kommilitonen mit anderthalb Stunden Computerpräsentation via „Powerpoint“ foltern.
Sobald vorne Bildschirm oder Leinwand aufgebaut werden, schalten schon Erstsemester vom Programm „Kirchgang“ (dösen und höchst interessiert aussehen) unverhohlen ins Programm „Fernsehabend“ (zurücklehnen, entspannen, Tiefschlaf). Der Schlummer wird jedoch mittels „Powerpoint“ meist grausam verhindert. Ouvertüre der Horrorvorstellung: die 15 Minuten zwischen voller Stunde und Beginn des Seminars. Während die Belegschaft nach und nach eintrudelt, hat das Referententeam bereits mehrere Meter Kabel im Seminarraum verlegt und die Sauerstoff spendenden Fenster mit Spezialverkleidungen abgedunkelt. Dann gibt es zwei Szenarien: a) Zunehmende Verzweiflung. Entweder hat die Transportdiskette entschieden, die perfekt gestaltete „Powerpoint“-Präsentation durch spontanes Verschwindenlassen wichtiger Daten aufzulockern. Oder – der häufigste Fall – Beamer und Laptop können nicht miteinander. Statt der Präsentation wirft das Gerät allenfalls einen hellen Fleck an die Wand, der zwar den Renovierungsbedarf des Seminarraums eindrucksvoll beleuchtet, aber für zunehmende Nervosität bei den Referenten sorgt. Schließlich veranstalten sie ein Schattenspiel im Licht des nutzlosen Beamers und appellieren an die Vorstellungskraft der Kommilitonen: „Stellt euch vor, ihr seht hier unten …“
Von wegen Fernsehabend. Aber auch wenn Technikfreaks am Werk sind, denen Laptop und Beamer brav gehorchen (Szenario b), ist es nichts mit dem Schlummer im Halbdunkel. Denn die Profis wollen zeigen, was sie draufhaben, und ballern mit allen Special Effects los, die das mächtige „Powerpoint“ zu bieten hat: Da sausen mit Lichtgeschwindigkeit und Jetgeräuschen Schlagworte herein. Grafiken erscheinen aus dem Nichts und verschwinden wieder, bevor mehr als ein greller Farbfleck sichtbar war. Unvermeidlich: Am Ende feiern sich die Erschaffer mit filmreifen Abspann und dickem Copyright-Zeichen. Inhaltlich kann „Powerpoint“ allenfalls BWL-Vorlesungen bereichern: Denn leider bietet das Programm zwar Vorlagen zur Präsentation von Geschäftsplänen, aber keine Standardmuster für die Interpretation altnordischer Sagas. Selbst die Beschränkung auf reinen Text hilft nicht: Die an die Wand projezierten Parolen in Plakatgröße könnten die Referenten auch gleich an die Tafel schreiben. FIETE STEGERS
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