: Auf der Flucht vor dem Semesterticket
Die Dauerfahrkarte für alle hat einige Schlupflöcher offen gelassen: Wer nicht zahlen will, wechselt an die Humboldt-Uni oder macht einfach Urlaub. Für soziale Härtefälle gibt es Zuschüsse. Die große Klagewelle blieb bislang aus
Sommersemster 2002: Ganz Berlin ist von Inhabern des Semestertickets besetzt. Ganz Berlin? Nein! Eine Universität leistet noch erbitterten Widerstand … Nun ist die Humboldt-Uni zwar nicht die einzige Hochschule, die den Studi-Ausweis nicht als Dauerfahrkarte verteilt. Aber nach der Technischen und Freien Universität ist sie die letzte der drei „Riesen“. „Dieses Semesterticket wollen wir nicht“, sagt Oliver Stoll vom HU-Studentenparlament. „Es wird keine Ur-Abstimmung geben, solange wir nicht alles versucht haben.“ Das heißt: Sich gegen den Preis von 109 Euro sträuben, der vom Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) verlangt wird.
Erleichtert hingegen hat TU-Präsident Kurt Kutzler am Ernst-Reuter-Platz vor Semesterbeginn der ersten Studentin das Ticket übergeben, das jetzt hier für alle Pflicht ist: „Die meisten sind aus allen Wolken gefallen, als die Rückmeldung kam. Typische Reaktion: Ist das jetzt Mark oder Euro?“, sagt Claus Colloseus, Asta-Beauftragter an der TU. Die große Klagewelle blieb aber aus.
Colloseus sitzt mit im neu eingerichteten Semesterticket-Büro, wo sich nun die Anträge auf Zuschuss stapeln. Den können die Leute bekommen, die der Ticketpreis in ernste Schwierigkeiten bringt. Etwa, weil sie allein erziehend sind oder in Prüfungen stecken. „Solche Belastungen müssen aber über mindestens drei Monate nachgewiesen werden“, sagt Colloseus. Wer aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Auslandssemestern keine Berliner Bahnen nutzt, kann sich ganz befreien lassen.
Die Zuschüsse zahlt die TU aus dem Sozialfonds, in den jeder Student 1,80 Euro gibt. Für die Bearbeitung hat das Büro sechs Angestellte, die vor allem von den Zinsen der Rückmeldebeiträge bezahlt werden, bevor sie an die VBB gehen.
Für die Vertreter der Humboldt-Uni steht fest: Das ist viel zu viel Geld. Das Studentenparlament hätte die Aufgabe, Studenten zu vertreten „und nicht die wirtschaftlichen Interessen des Landes Berlin“, sagt Oliver Stoll. Es ist das alte Lied: Die BVG will ihre Umsatzzahlen nicht herausrücken. Sie hat aber in den letzten Jahren zweimal die Preise erhöht und Kunden eingebüßt. Deshalb vermutet die HU, dass die Semestertickets Verluste ausgleichen sollen.
Stoll wirft den anderen Unis vor, grüner Lobbyarbeit zum Opfer gefallen zu sein. „Sehr schief“, sagt TU-Mann Claus Colloseus, zum Büttel habe man sich nicht machen lassen. „Wir haben in Auftrag verhandelt und die Entscheidung letzlich an die Studierenden weitergegeben.“
MARGRET STEFFEN
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