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Genossenschaft – sie lebe hoch?

Nein

Leider kann ich mich kaum noch an die erbitterten und iedeologisch vertrackten Gefechte der Plenardemokratie erinnern. Das würde eine humoristischen Rückblick favorisieren. Aber worum es bei der Entscheidung zwischen taz-Genossenschaft oder taz-Verkauf (wir sagten damals vornehm Beteiligung von Fremdkapital) ging, scheint mir klarer denn je. Die Alternative bestand nicht zwischen zwei Konzeptionen, zwischen einem alternativen Kollektivbetrieb, einem sozialistischen Freiraum und einem kapitalistischen Verlag. In meinen Augen befand sich die taz vielmehr an einem Wendepunkt: Sie war nach zehn Jahren von Erfolg gekrönt, hatte die Chance, zur konkurrenzfähigen Vollzeitung (statt linksalternativen Parallelzeitung) im nationalen Wettbewerb zu werden. Dazu musste investiert werden, in das Blatt und das Personal; darum brauchte es Kapital, also einen Käufer, also einen neuen Verleger. Wir hatten es geschafft, etwas verkaufen zu können, uns selbst, eine einzigartige, glanzvolle Redaktionsmannschaft, um die man uns beneidete. Deren Erbe wird ja heute noch genutzt.

Selbstverständlich verdankte sich dieser Erfolg der alternativen Selbstausbeutung, dem egalitären Milieu und dem Dauerstreit, der uns verband. Aber diese Betriebsform schien mir überholt. Alternative Strukturen sind konservativ, bilden Biotope des Überlebens. Sie wachsen nicht schnell, wenn Wachstum auf der Tagesordnung steht; sie sterben auch nicht, jedenfalls lange nicht. Die Genossenschaft bedeutete Entscheidung für den Rückfall in einen alternativen Status quo minus, für den taz-Verlag und letztlich gegen den taz-Journalismus. Und sie würde überaus zählebig sein in ihrer unvermeidlichen ewigen Mühe der Selbsterhaltung und des Bettelns. Deswegen würde die Genossenschaftsoption unwiderruflich sein. Das war die eine Gefahr; die andere: mit der Genossenschaft würde die taz letztlich sich zurückbinden an die angestammte linksalternative Leserschaft, aus deren Milieu wir die Zeitung herausgeführt hatten. Das ist, soweit ich sehe, dann auch passiert.

Für mich war der Kollektivbetrieb kein erhaltenswertes Denkmal. In den letzten Jahren hatte sich die egalitäre Ideologie mit ihrem Einheitslohn schon in eine Lebenslüge verwandelt. Tatsächlich war es der unsozialste Betrieb, denn ich bislang kennengelernt habe: durch den Einheitslohn wurden die unausgebildeten jungen Mitarbeiter vor allem in der Technik privilegiert. Wer die dumme Angewohnheit hatte, etwas älter zu sein, Kinder zu haben und an Alterssicherung denken musste, durfte sich für die Jungen ausbeuten. Das betraf vor allem die Redaktion. Viele mussten durch Lohnschreiberei ihren taz-Job finanzieren, hatten aber inzwischen einen Marktwert. Eine denkwürdige Erinnerung: der hervorragende, allseits beliebte und überaus bescheidene Öko-Redakteur Kriener verlangte in jener Zeit 1.000 Mark mehr, nicht aus Not, sondern umwillen der Anerkennung. Das Kollektiv ließ ihn ohne eine Träne gehen.

Außerdem lag über dem Finanzhaushalt der Geschäftsführung ein undurchdringliches Dunkel und man durfte raten, ob da alternative Phantasie oder verschlepperter Konkurs in dem black hole steckte. Das war für die Suche nach einem Verleger das große Problem. Wir kamen in dem Betrieb, in dem alles offen sein sollte, nie an die wirklichen Zahlen. Wir hatten zwar Verhandlungpartner, konnten aber nie ernsthaft verhandeln. So ließ sich in dem entscheidenden Plenum kein Verleger präsentieren. Nur eine Grundsatzentscheidung stand an.

Das war schlecht. Ohnehin waren die Chancen minimal. Verlag und Technik hatten die Stimmenmehrheit und erschienen im Zweifelsfall vollzählig. Redakteure sind als politische Gruppe eine Katastrophe, weil sie, wenn sie gut sind, Individualisten sind, die lieber ihren bedeutenden Artikel zu Ende schreiben als abzustimmen. Wir konnten den Kollegen von Verlag und Technik auch keinerlei Erfolgsgarantie geben. Außerdem hätte die politische Stimmung anders sein müssen: mehr Optimismus (bei aller Kritik) im zweiten Jahr der deutschen Einheit. So entschied sich das Kollektiv für den Spatz in der Hand, für den Status quo, für die Genossenschaft. Wir Redakteure, die wir konsequenterweise gehen mußten, nacheinander, können uns nicht beklagen. So weit ich sehe, machten alle Karriere. Für mich, im alter von 52 Jahren noch rechtzeitig. Wir leiden auch nicht mehr als in der taz, nur einbißchen anders. Die taz erstaunt, dass sie immer noch (aber nicht immer) alte Qualität zeigt. Aber eine Erstarrung ist sichtbar. Die Genossenschaft ist eine fragwürdige Umschreibung für Spendenwerbung. Langsam schleichen sich Züge der Verödung ein.

KLAUS HARTUNG, 61, war seit den Anfangsjahren taz-Redakteur. Nach seinem Weggang schrieb er für die Wochenpost. Heute ist er Korrespondent der Berliner Redaktion der Zeit.

Ja

Und jetzt sollten wir alle Genossen werden? 1991, zwei Jahre nach dem Fall der Mauer, klang das mehr nach grauer Vergangenheit als nach strahlender Zukunft.

Brauchte unsere Zeitung nicht statt vieler kleiner Einlagen die kräftige Geldspritze eines Investors, um endlich dem Teufelskreis ihrer Armutsökonomie zu entrinnen? Ja, wir Redakteure waren ziemlich erschöpft: von der ineffektiven Plenumsdemokratie, der Selbstausbeutung zum Einheitslohn von 1500 Mark netto, vom Weggang vieler geschätzter Kollegen, die so nicht mehr arbeiten wollten.

Hätte damals jemand 20 Millionen Mark auf den Tisch gelegt und sich dafür mit 49 Prozent der taz-Anteile begnügt, auch ich hätte nicht lange gezögert, dafür zu stimmen.

Doch er kam nicht, der große Gönner ohne Gewinnerwartung. Und wenn doch jemand unverbindliches Interesse an der taz zeigte, wurde schnell klar: Wer zahlt, will auch das Sagen haben. Wer hier einsteigt, will das Blatt auch einstellen können, wenn es auf Dauer nicht aus den roten Zahlen kommt.

In den 90er Jahren findet sich auf dem deutschen Pressemarkt eine Reihe gescheiterter Versuche, Qualitätsprodukte zu etablieren. Der Rennpferdbesitzer und Hobbyverleger Dietrich von Boetticher kaufte das West- Ost-Projekt Wochenpost – und machte es schließlich zu (er hatte sich zuvor auch für die taz interessiert). Das wunderbar zu lesende Wirtschaftsmagazin Econy wurde nacheinander zwei Verlagen zu teuer. Der Spiegel stellte seine Ableger Spezial und Reporter einen nach dem andern ein. Am längsten hielt sich die Woche. Doch nach neun Jahren wollte oder konnte auch ihr Verleger Thomas Ganske die Verluste – über eine Million Euro pro Woche, sagt er – nicht mehr finanzieren.

Kaum wahrscheinlich, dass ausgerechnet die taz bis heute überlebt hätte, wäre sie seinerzeit in einen potenten Verlag integriert worden. Zu hart ist der Kampf um die Leser unter den regionalen und überregionalen Tageszeitungen geworden, gnadenlos hat der Rückgang des Anzeigengeschäfts im vergangenen Jahr sie alle gebeutelt, zum Teil bauen sie jetzt 10 oder auch 20 Prozent des Personals ab.

So gesehen, war die Genossenschaft für die taz ein Segen. Die 10 Millionen Mark, die sie unter den Lesern und Leserinnen aufgebracht hat, haben zwar nicht den großen Sprung nach vorn ermöglicht, wohl aber viele kleine Schritte – und das Überleben. Einen Wettbewerb unter Marktbedingungen mit Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau um die beste linksliberale Autorenzeitung, wie ihn die Redaktionsmehrheit damals wollte, hätte die taz nie gewinnen können. Schließlich blieben auch ihre Konkurrenten nicht untätig und haben Riesensummen in journalistische Qualität investiert.

Die Genossenschaft hat den tazlern bis heute keine Tariflöhne beschert. Sie konnte auch nicht verhindern, dass die Zeitung im vergangenen Jahrzehnt drei Rettungskampagnen brauchte. Aber sie hat – am Rande und in einer Nische des Wettbewerbs – die taz abgesichert.

Ist die taz deshalb unabhängiger als andere Zeitungen? Die Frage ist: von wem unabhängig. Sie hat keinen Verleger, der von einem Tag auf den andern den Daumen senken könnte. Anzeigenkunden spielen nur eine untergeordnete Rolle für die Einnahmen. In der heutigen Konjunkturlage, in der die Anzeigenerlöse aller Zeitungen zurückgegangen sind, lässt sich sogar sagen: zum Glück. Und die Genossen wollen als formale Eigentümer keinen inhaltlichen Einfluss auf die Zeitung nehmen. Was bleibt, ist die Abhängigkeit von der Auflage, von der Leserschaft.

Die Genossenschaft der taz-Leser und -leserinnen, Symbol dieser Abhängigkeit, mag ein Anachronismus sein. In den vergangenen zehn Jahren hat sich ihre Existenz aber nicht nur als notwendiger Anachronismus erwiesen. Sie hat die Innovationen ermöglicht, die die taz in die Zeitungslandschaft getragen hat.

MICHAEL REDISKE, 48, war von 1986 bis 1999 taz-Redakteur, zuletzt drei Jahre als Chefredakteur. Er ist jetzt stellvertretender Chefredakteur bei der Nachrichtenagentur AFP. (m.rediske@gmx.de)

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