piwik no script img

berliner szenen Der Fluch des Truthahns

Ein Abend in Moll

Aua! Der Eingang zur Junction Bar in der Gneisenaustraße ist verdammt niedrig. Wieder einmal ist Bruno Francheschini mit seiner Band als Tagestipp in der Zitty platziert worden. Titel des Abends: Pensieri in volo di tachino. Was so viel heißen soll wie: Gedanken beim Truthahnflug. Ich taumele in den hinteren Kellerraum an die Bar, und dann mit einem Bier zurück zur Bühne. Dort hat die Band auf leeren Bierkisten bereits ihre Gitarrenverstärker aufgebaut.

Bruno Francheschini erklimmt das Podest und greift zum Mikro. Klassische Besetzung: Piano, Kontrabass, E-Gitarre, Schlagzeuger mit Krawatte. Bruno ist nicht nur Liedermacher. Sondern auch Übersetzer. Nur seine Lieder übersetzt er nicht. Man sagt, er habe einen deutschen Großvater. Und eine Wohnung in Ostberlin, deren Heizung nicht funktioniert. Fast bei jeder neuen Ansage fügt er mit melancholischem Lächeln hinzu: „Aber das versteht ihr leider nicht …“ Es sind traurige Texte über traurige Themen: Schlaflosigkeit, kalte Jahreszeiten, Plattenbauten, Berlusconi. Ein Abend in Moll. Tristezza.

Draußen, vor dem niedrigen Kellerfenster, wird es immer nebeliger. Aus dem Piano quellen Bluenotes, der Pianospieler mit seinen kurzen Haaren und dem blau-weiß gestreiften T-Shirt sieht aus, als hätte er auf der Kursk angeheuert. Gibt es eine melancholischere Mischung als amerikanischen Jazz, italienische Chansons und deutsches Publikum? Als die letzte Zugabe vorbei ist, zwänge ich mich über die enge Treppe hinaus und laufe in Richtung Yorckbrücken. Im Schaufenster eines Schnellimbisses drehen sich unendlich langsam Stangen mit gebratenen Hähnchen. Wo wird das alles enden? Pensieri in giro di pollo.

ANSGAR WARNER

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen