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Potentielle Stadionatmosphäre

Bedürfnislöcher stopfendes Amphitheater: Die Markthalle wird 25 – Ein Glückwunsch  ■ Von Michael Ruff

25 Jahre Markthalle – da wird einem schwarz vor Augen, während im Geiste das Leben (oder jedenfalls ein wichtiger Teil davon) noch einmal im Schnelldurchlauf Revue passiert. Nicht, dass sie meine zweite Heimat gewesen wäre, aber einen Platz unter den ersten zehn hat sie wohl sicher. Die Markthalle erschien einfach zur rechten Zeit auf dem Markt: Ein aus Spanplatten zusammengenageltes, mit PVC ausgelegtes Amphitheater, dessen potentielle Stadionatmosphäre auch dann spürbar war, wenn sich nur eine Handvoll Besucher auf den Rängen verloren.

Ich war gerade von Rahlstedt nach St.Pauli gezogen, soeben kein Teen mehr und hatte schon dementsprechend viel Musik gehört. Doch seit der ersten Patti Smith-LP waren es vor allem die Vertreter dieser im allgemeinen als Punk deklarierten Richtung, die ein großes Loch in meiner Bedürfniswelt zu stopfen verstanden. So ließ ich die alten Bekannten, die lieber bei JazzRock, Doors, etc. bleiben wollten, alte Bekannte sein und trieb mich in anderen Kreisen herum – so zum Beispiel in der Marktstube (die es im Gegensatz zur Halle seit letztem Herbst leider nicht mehr gibt).

Da ich bei aller Punk-Euphorie der Hippie-Musik nicht gänzlich abgeschworen hatte, war es von der Stube zur Halle nur ein kleiner Schritt: Zwar wurde dem Markthallen-Programm damals eine eher kommerziell orientierte Interessenlage nachgesagt, doch immerhin durfte ich dort gemütliche Auftritte meiner verbliebenen alten Helden (Roy Harper, Van der Graaf Generator, Fairport Convention) Tür an Tür mit diesen großmäuligen englischen Bands erleben, von denen man im New Musical Express gelesen hatte. Schneidersitz ade, dafür die Stranglers vor 20 zahlenden Marktstuben-Hängern, dann die Vibrators vor, na, vielleicht 100. So was hätte sicherlich auch in kleinerem Rahmen stattfinden können, doch schon die wunderbare Innenarchitektur vermittelte jedem Anwesenden das Gefühl, hier könnte jederzeit etwas Besonderes passieren, sollte der Laden besser gefüllt sein. Was glücklicherweise nicht ausgeblieben ist: Schon wenig später, beim Auftritt der Ramones, musste ich nach zehn Songs die ers-te Reihe verlassen, weil meine Kniescheiben von anstürmenden Fans am Bühnenrand zerquetscht zu werden drohten.

In dieser Halle durfte man Iggy Pop erstmals in Deutschland erleben. Das gilt auch für Blondie, Devo, Sisters Of Mercy oder The Cure, auch Björk und P. J. Harvey dürfen in dieser Liste nicht fehlen. Buzzcocks, Adverts und Siouxie & The Banshees traten im Rahmen einer Rock'n'Roll-Ausstellung auf, The Clash prügelten sich mit dem Publikum, bis die Polizei anrückte. Derweil rissen Einstürzende Neubauten ungestört das Mauerwerk auf. Marc Almond konnte die ausverkaufte Halle in einen selig mitsingenden Chor verwandeln, während The Cramps eine nie zuvor gesehene Las-Vegas-Sex-Show veranstalteten. Lee Perry bewies, dass ein wahrer Magier auch von einer schlechten Begleitband nicht entzaubert werden kann. Gerüchte sprechen davon, dass bei Fugazi 1500 Leute gewesen sein sollen, womit der Grad maximaler Überfüllung absolut überschritten wäre.

Wer allerdings bei Nirvana, die als unbekannte Band gebucht wurden und als Rockstars ankamen, dabei gewesen ist, wird kaum glauben, dass es schon mal ein größeres Gedrängel gegeben hat. Auf der anderen Seite konnte man dort mit Beat Happening auch die übellaunigste Band im allerleersten Saal miterleben. Danach wurden ein paar Nebenräume eröffnet, wo Boss Hog, Pavement, Jon Spencers Blues Explosion und Kim Salmon debütierten.

Schön, dass die Markthalle für die anstehende Jubiläums-Party auf ein Format zurückgegriffen hat, das dem ähnelt, was man früher in Anlehnung an Hamburgs Impresario und ZickZack-Labelchef salopp als „Hilsberg-Festival“ bezeichnete. Natürlich können sich Die Sterne, Superpunk oder Eins, Zwo nicht unbedingt mit all den Pionieren messen, die damals bei „Into The Future“ oder „In Die Zukunft“ dabei waren, doch blasse Pop-Kapellen sind sie beileibe nicht. Bemerkenswert: Beim Jubiläumskonzert spenden alle Beteiligten ihre Gagen einer noch zu bestimmenden karitativen Institution. Nicht bloß deswegen: Glückwunsch an die Macher und vor allem an das duldsame Gemäuer!

„The Anniversary Show“ mit Die Sterne, Superpunk, Eins, Zwo, Moqui Marbles, DJ Phono, Tomte, Kajak sowie DJ-Battle L'Age d'Or vs. Yo Mama: Freitag, 20 Uhr, Markthalle. Im Foyer ist bis zum 12.5. eine Fotoausstellung zur Geschichte des Hauses zu sehen.

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