: Ein Medienstandort auf dem Land
Am Sonntag wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Wie lässt sich auf Landflucht und Verödung in der Provinz reagieren? Mit einem Zentrum für Medienkunst, wie es die Werkleitz-Gesellschaft seit neun Jahren in den Dörfern Werkleitz und Tornitz betreibt
von HOLGER KUBE VENTURA
Wir befinden uns im Jahre 2002 n. Chr. Ganz Deutschland ist von den Kosmopoliten besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Medienkunstschaffenden bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Großstädtern Alternativen aufzuzeigen. Und das Leben ist nicht leicht für die sachsen-anhaltischen Kulturpolitiker, die in den befestigten Lagern Magdeburgorum, Dessaurium und Halleseisdrum liegen …
Nun ja, genau genommen sind es zwei Dörfer: Sie heißen Werkleitz und Tornitz, liegen im Elbe-Saale-Winkel und haben zusammen rund 600 Einwohner. Und die „unbeugsamen Medienkunstschaffenden“ sind nur eine kleine Enklave darin. Vor elf Jahren machten sich ein paar Filmstudenten aus Braunschweig auf den Weg, um nach dem Mauerfall in den neuen Bundesländern ein Haus im Grünen zu suchen. Zufällig stießen sie dabei auf eine verfallene Ziegelei in Werkleitz, kauften sie und waren dann zunächst mal lange mit der Instandsetzung beschäftigt. Als die gröbsten Bauarbeiten erledigt waren, begann der Freundeskreis mit Maßnahmen zur Vermeidung der künstlerischen und sozialen Vereinsamung. Unter dem Namen „Werkleitz Gesellschaft“ wurde Anfang 1993 ein gemeinnütziger „Verein zur Förderung und Realisierung von Film-, Kunst- und Medienprojekten“ gegründet und bald darauf schon eine erste große Ausstellung realisiert, bei der 41 KünstlerInnen und Gruppen für einige Tage ihre Arbeiten präsentierten: Filme, Malerei, Installationen, Performances, Musik. Damit war die grenzüberschreitende Struktur der später folgenden Werkleitz Biennalen vorgegeben, und der Freundeskreis begann exponentiell zu wachsen.
Aktivitäten im Bereich der neuen Medien waren damals in Sachsen-Anhalt konkurrenzlos und wurden vom Kultusministerium auch honoriert: Anfang 1994 erhielt die Werkleitz Gesellschaft e. V. großzügige Mittel zum Technikankauf und zwei Jahre später sogar noch eine institutionelle Förderung, die nun ein jährliches Betriebsbudget und die Überführung der vormals ehrenamtlichen Arbeit in vier feste Angestelltenverhältnisse plus diverse Honorarverträge erlaubte. Komplettiert wurde diese Zäsur des Jahres 1996 dadurch, dass die Dorfgemeinde ein ehemaliges Konsum-Gebäude in Tornitz als Zentrale zur Verfügung stellte. Fortan konnte der frisch institutionalisierte Verein dort zu Recht als exotischstes Medienzentrum Deutschlands gelten.
Die Werkleitz Gesellschaft leistet seit ihrer Gründung sowohl die Arbeiten eines Medienbüros als auch die einer Medienwerkstatt: Durch Beratung, Vermittlung und technische Ausstattung wird die Verwirklichung von unkommerziellen Video-, Film-, Netz- und Multimediaprojekten unterstützt. Weitere Angebote für Kunstschaffende umfassen mittlerweile vier unterschiedliche Stipendienprogramme sowie ein Fortbildungsprogramm aus jährlich rund 20 Wochenend-Workshops zu digitaler Bild- und Videobearbeitung, Kameraführung, DTP-Programmen und manchmal auch zu kulturtheoretischen Themen. Zusätzlich betreibt die Werkleitz Gesellschaft oVid – die weltweit erste umfassende Online-Datenbank für Experimentalfilm und Videokunst – sowie eine Präsenzvideothek für Fachleute und für die Jugendlichen der Dörfer ein Internetcafé.
Richtig bekannt ist dieses Landes-Medienzentrum aber weniger als Labor, Ausbildungsstätte und Werkstatt (zumal deren Gerätepark seit nunmehr acht Jahren nicht wesentlich erneuert wird), sondern weil es alle zwei Jahre das internationale Medienkunstfestival Werkleitz Biennale durchführt. Zur dritten Ausgabe unter dem Titel „sub fiction“ (1998) gab es bereits Beiträge von mehr als 70 KünstlerInnen aus 15 Ländern, und zur Eröffnung berichteten fünf TV-Stationen. Seitdem gilt die Werkleitz Biennale als wichtigste Veranstaltung dieser Art in den neuen Bundesländern und wird zuweilen sogar „Documenta des Ostens“ genannt. Die Dorfgemeinde unterstützt dieses Festival, weil es Aufmerksamkeit bringt und aufgrund der lokalen Eingebundenheit des Vereins auch kein „Bombenabwurf“ ist. Die Kunstgemeinde hingegen schätzt sein kommunikatives und außergewöhnliches Ambiente, das sich von den white cubes und der oft allzu kunstbetrieblichen Ausrichtung metropolitaner Großprojekte unterscheidet. Besonders deutlich war das bei der Biennale „real[work]“ im Jahr 2000, mit der die regionale und globale Diskussion um den sich verändernden Begriff von Arbeit und seiner gesellschaftlichen Bewertung aufgenommen wurde, ein Thema, das gerade für die ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts mit Arbeitslosenquoten von unverändert rund 25 Prozent eine besondere Relevanz hatte.
In gut drei Monaten findet die 5. Werkleitz Biennale statt. Mit dem ambivalenten Titel „Zugewinngemeinschaft“ werden diesmal kritische Perspektiven auf eine Gesellschaft eingenommen, die in erster Linie auf (eigene) Zugewinne konzentriert ist – ablesbar etwa in der derzeitigen Debatte um Zuwanderung und Migrationspolitik sowie in variierten Forderungen nach einer „Leitkultur“. Aber nicht nur gesellschaftliche Ausgrenzungen entlang von „Hautfarbe“, „Geschlecht“ und „Staatsangehörigkeit“ werden vom 31. Juli bis zum 4. August in Werkleitz/Tornitz thematisiert, sondern ebenso alternative Zugewinne, die in anderen Formen von Gemeinschaftlichkeit liegen könnten. Mit ihrer Jubiläumsausgabe wird die fünftägige Werkleitz Biennale anhand eines Ausstellungsparcours sowie zahlreicher Screenings, Performances, Musik- und Diskussionsveranstaltungen mit insgesamt über 100 Beteiligten stärker als zuvor konkrete Politikthemen beleuchten (siehe www.werkleitz.de/zugewinngemeinschaft).
Es geht also weiter in dem kleinen Dorf mit den unbeugsamen Medienkunstschaffenden. Einstweilen, denn im nächsten Jahr wird möglicherweise ein neues Abenteuer begonnen mitsamt einer neuen Form von Medienkunstfestival, und zwar im befestigten Lager Halleseisdrum. Dort wird gerade der „Medienstandort Halle“ konstruiert, und man darf gespannt sein, ob er allein durch die Bereiche „Ausbildung“ und „Wirtschaft“ die gewünschte Dynamik wird produzieren können, oder ob ihm erst weiche Standortfaktoren wie „Medienkunst und -kultur“ ein Gesicht verleihen. Bislang jedenfalls gibt es für Letzteres keine einzige Adresse in Halle, geschweige denn Strukturen zur Unterstützung eines diesbezüglich kreativen Milieus – die wandern alle ab nach Berlin oder in die alten Bundesländer.
Die im vergangenen Jahr erstmals abgehaltene, kommerziell ausgerichtete Konferenz D-Motion wird mit ihrem Fokus auf „das Thema DVD“ auch in der für kommenden Winter geplanten Ausgabe da sicher kaum etwas daran ändern können. Und dass allein schon das Gebäude des so genannten Multi-Media-Zentrums die Existenz eines „Medienstandortes“ wird beweisen können (bis Herbst 2003 sollen dafür etwa 25 Millionen Euro verbaut worden sein), ist gleichfalls zu bezweifeln – zumindest wenn man unter solch einem Standort eben auch eine vitale Kulturszene versteht, die schließlich der Motor für wirtschaftliche und ausbildungsrelevante Impulse ist.
Bei Asterix im Morgenland (Band XXVIII) versenken die Helden das Piratenschiff ausnahmsweise einmal nicht – das besorgt diesmal der Schwarze. Er verkündet: „Sie k’iegen uns nicht Käpt’n! Die Eh’e ist ge’ettet! Ich hab den ’umpf du’chschlagen!“ Das Schiff säuft ab, und der notorische Piratenopa lateinert dazu mal wieder: „Sic transit gloria mundi.“
Vielleicht sind eine vitale Kulturzene und Medienkunst nicht zwangsläufig der Rumpf eines Medienstandortes, sicherlich aber ein notwendiger Teil davon – sagen wir mal: der „’umpf“. Was diesbezüglich das Zusammenspiel von Kultur-, Wirtschafts- und Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt anbelangt, so wird man später sehen, wo Zugewinngemeinschaften entstehen – oder ob und, wenn ja, wem welcher Himmel auf den Kopf fällt.
Holger Kube Ventura ist seit Februar 2001 Leiter der Werkleitzgesellschaft. Zuletzt erschien von ihm „Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum“. edition selene, Wien 2002, 360 Seiten, 18,60 €
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