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Ein kleines Loch in der Mauer

Computer gehören heute in den meisten deutschen Gefängnissen zum Alltag. In Berlin-Tegel dürfen die Häftlinge sogar ihre eigene Website gestalten und E-Mails schreiben – aber nur offline

von JOCHEN FENGLER und ELMER LENZEN

Berlin-Tegel, Deutschlands größte und älteste Justizvollzugsanstalt. Der erste Eindruck als Besucher: Das ist ja hier gar nicht so schlimm. Keine laut herumkommandierenden Aufseher, und die Häftlinge sehen in ihrer Straßenkleidung eigentlich auch nicht aus wie schwere Jungs. Der Besucherraum ist nüchtern und funktional. Volkshochschulatmosphäre. Nur die sauber gestrichenen Außengitter erinnern an den Knast. „Glauben Sie bloß nicht, dass meine Zelle auch so aussieht. Die Scheibe muss ich mit Folie abdichten, damit es nicht zieht“, erzählt Falko Schmidt.

Der 40-Jährige ist einer von 15 Häftlingen, die in Tegel an einem Projekt teilnehmen, das seine Erfinder für weltweit einzigartig halten. Die Idee: Innenansichten aus einer Welt zu geben, die die meisten von uns nur aus dem Fernsehen kennen. „Biografien von Weggeschlossenen hörbar machen“, so nennen sie das. Seit gut dreieinhalb Jahren haben 15 der Berliner Strafgefangenen die Möglichkeit, ihre eigene Homepage zu gestalten und per E-Mail zu kommunizieren.

Anfang 1998 ging die erste Version der Website „Planet Tegel“ (www.planet-tegel.de) online, und seit Dezember letzten Jahres erhält man unter www.trabant-tegel.de einen multimedialen Eindruck vom Alltagsleben der Insassen. Stilecht muss der virtuelle Besucher erst einmal ein Formular ausfüllen, um einen Passierschein zu bekommen. Ohne Aufsicht ist hier niemad, das ist die erste Lektion, die zweite besteht in einer bemerkenswerten Sammlung von Selbstzeugnissen, die einen ungewöhnlichen Blick in die Welt der Gefangenen und ihre Knastwirklichkeit erlauben.

Forum unter Aufsicht

Anders als auf der offiziellen Anstaltshomepage (www.berlin.de/jva-tegel) dominieren hier dunkle Farben. Offen und direkt erzählen die Insassen von Suizidgedanken und Drogenproblemen. „Es ist ja nicht nur unsere Aufgabe, das Essen hier zu diskutieren. Wir haben uns auch auf die Fahne geschrieben, Aktuelles darzustellen“, begründet das Dittmar Große, einer der beteiligten Häftlinge.

Die Zellen sind überbelegt, manche denken an einen Hungerstreik. Im Zentrum des „Trabanten Tegel“ steht jedoch immer das Gefühl, physisch und verbal von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. So lauten etwa die Zeilen eines Gedichts: „Von Wand zu Wand, da waren's drei Schritte, vom Leben zum Tod nur zwei kleine Schnitte.“

Auch in Australien gestalten Gefangene einer Strafanstalt (www.ourmessage.org) ihre eigene Homepage. Aber nur in Tegel haben die Häftlinge dabei die Möglichkeit, per E-Mail aus dem Gefängnis zu kommunizieren. Der Inhalt der Briefe darf sich jedoch nur auf das Projekt beziehen, und der Text muss den Projektleitern vorgelegt werden, die ihn dann versenden. Die Weiterführung krimineller Geschäfte aus dem Knast oder die Planung neuer Coups mit Hilfe des Internets soll so verhindert werden. Das funktioniert, meint Jörg Heger, Leiter der Internetgruppe: „Es gab noch nie Probleme mit den Teilnehmern.“

Lienhard Dreger, Abteilungsdirektor des Justizvollzugsamts Westfalen-Lippe, erläutert die sonst gängige Praxis so: „Im Strafvollzug werden Computer bisher eigentlich nur zum Zweck von Anwenderschulungen eingesetzt.“ Wegen der ungeklärten Sicherheitsbestimmungen scheuen sich die Gefängnisse bisher davor, Sträflingen das Internet zugänglich zu machen.

Besser als Drogen

Die Angst ist unbegründet. An der Website von Tegel wirken Kriminelle mit, die bis zu 25 Jahre einsitzen müssen. „Das Projekt unterliegt strengen Sicherheitsvorkehrungen“, betont Heger. So ist den Gefangenen der Zugriff auch auf die eigene Homepage nur offline möglich. Eine im Forum der Website gestellte Frage bekommt die Gruppe auf Papier ausgedruckt zur Beantwortung vorgelegt. Die Insassen haben also keinerlei Möglichkeit, mit Besuchern der Seite in direkten Kontakt zu treten, geschweige denn, im Internet frei zu surfen.

Sosehr der Anstaltsleitung diese Sicherheitsbestimmungen auch einleuchten mögen, sie stellen für die Beteiligten eine Behinderung ihrer Arbeit dar. „Das Internet lebt vom direkten Kontakt“, klagt etwa Thomas Wulff, einer der Häftlinge. „Wir aber brauchen für die Beantwortung einer im Forum gestellten Frage vier bis fünf Tage.“

Deswegen ist das Nahziel der Gefangenen, zumindest die eigene Homepage online einsehen zu dürfen. Ihnen schwebt eine Regelung vor, bei der mit einer Positivliste die Rechner so konfiguriert werden, dass sie nur auf bestimmte Internetseiten Zugriff haben. „Sonst hat das Ganze ja überhaupt keinen Sinn“, sagt Wulff. Die Anstaltsleitung hält sich bedeckt. „Und wie ich den Laden hier kenne, kann das ewig dauern“, ergänzt Falko Schmidt.

Warum engagieren sich die Häftlinge für ihre Website, obwohl die Auflagen doch so rigide sind? „Es geht darum, geistig nicht zu veröden, sich da oben fit zu halten“, erläutert Große und tippt sich an die Stirn. Schmidt nickt und sagt: „Ich nehme alles mit, was mich irgendwo weiterbringt. Zumindest sitze ich nicht in meiner Zelle und denke darüber nach, ob ich mir jetzt Drogen besorge.“

Ein Vorbild für andere

Ganze drei Computer stehen zur Verfügung – selbst ein Chat unter Aufsicht ist damit sinnlos. Daran soll sich so schnell nichts ändern. Die Anstaltsleitung ist der Meinung, dass es ausreichend Gelegenheit zur Kommunikation untereinander gibt, am Arbeitsplatz oder beim Sport. Nur: „Jede Möglichkeit, mit den Leuten draußen in Kontakt zu treten, bedeutet ein kleines Loch in der Mauer“, sagt der Insasse Schmidt. Ein Loch, durch das allerdings nur wenige hineinspähen. Gab es anfangs noch reges Medieninteresse, so lässt sich heute die Zahl der Seitenbesucher an einer Hand abzählen. Doch das ist den Häftlingen egal, jeder einzelne Forumsbeitrag bedeutet Abwechslung im sonst monotonen Knastalltag. Und von den Erfahrungen der Tegeler, ist sich der Projektleiter Heger sicher, könnten viele Anstalten profitieren. „Dieser Schritt in Richtung moderne Resozialisierung würde überall funktionieren“, meint er – und warnt davor, dass die Scharfrichter der Schill-Partei auch außerhalb Hamburgs Erfolg haben.

Welche Bedeutung das Internetprojekt für die Gefangenen in Tegel hat, lässt sich erahnen, wenn man sich die übrigen Kommunikationsmöglichkeiten anschaut: Es gibt im Schnitt einen Telefonapparat für 120 Insassen. Dazu ganze zweimal im Monat Besuchszeiten von je 30 Minuten. Für Ehepartner zudem einen so genannten Langzeitsprecher von fünf Stunden.

lenzen@macando.de

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