Sexualität von Kindern darf nachgestellt werden

Das Oberste US-Gericht hebt ein Gesetz zum Verbot „virtueller Kinderpornografie“ als verfassungswidrig auf. Justizminister Ashcroft ist enttäuscht

BERLIN taz ■ Der Oberste Gerichtshof der USA hat am Dienstag ein Gesetz zur Verfolgung so genannter „virtueller Kinderpornografie“ für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz, 1996 vom republikanisch dominierten Kongress verabschiedet und vom damaligen Präsidenten Bill Clinton unterzeichnet, sollte auch den Besitz und die Verbreitung sexueller Darstellungen von Kindern unter Strafe stellen, die künstlich am Computer erzeugt oder gezeichnet wurden. Genauso sollte mit dem Gesetz verboten werden, den Anschein zu erwecken, bei gezeigten Pornodarstellern handele es sich um Kinder, auch wenn die die Personen in Wirklichkeit über achtzehn Jahre alt waren.

Doch der Gesetzestext, so das Gericht in seiner Mehrheitsentscheidung, würde auch die Verfolgung von Filmen wie „Traffic“ oder „American Beauty“ und selbst moderner Versionen von Shakespeares „Romeo und Julia“ erlauben. Sexualität von Kindern und Heranwachsenden an sich sei ein Thema, dessen künstlerische Bearbeitung aber durch den ersten Verfassungszusatz geschützt sei.

Das Gesetz, führte Richter Anthony M. Kennedy aus, „verbietet die bildnerische Umsetzung einer Idee – der von sexueller Handlung von Teenagern –, die in der modernen Gesellschaft eine Tatsache darstellt und von jeher ein Thema in Kunst und Literatur gewesen ist“. Das Gesetz, rügte Kennedy weiter, „verbietet Darstellungen, die kein Verbrechen sind und bei ihrer Herstellung keinerlei Opfer fordern“.

Die Befürworter des Gesetzes hatten argumentiert, in der Verfolgung von Kinderpornografie eröffne die Erlaubnis der „virtuellen Pornografie“ ein bedeutendes Schlupfloch, da es im Computerzeitalter kaum möglich sein, tatsächliche und künstlich hergestellte Darstellungen zu unterscheiden. Da es den Ermittlern ohnehin oft schwer falle, die betroffenen Kinder ausfindig zu machen, könnten Hersteller von Kinderpornografie immer behaupten, es handele sich in Wirklichkeit nicht um reale Bilder.

Diesen Bedenken schlossen sich zwar der Vorsitzende Richter William H. Rehnquist und ein weiterer Richter in Minderheitsvoten an. Rehnquist argumentierte, es sei allgemein bekannt, wogegen sich das Gesetz richte und wogegen nicht – immerhin hätten sowohl „Traffic“ als auch „American Beauty“ sogar Oskars gewonnen, obwohl das Gesetz zu der Zeit in Kraft gewesen sei.

Die Bush-Regierung bedauerte die Entscheidung des Gerichtes. Justizminister John Ashcroft, als Senator seinerzeit hoch engagiert gegen Kinderpornografie, befürchtete, die Entscheidung mache die Verfolgung von Kinderpornografie „unermesslich viel schwieriger“. Er kündigte an, gemeinsam mit dem Kongress eine neue Gesetzgebung auf den Weg bringen zu wollen, die den vom Gericht genannten Maßstäben entspräche.

Die Klage war von der Free Speech Coalition betrieben worden, einem Zusammenschluss kalifornischer Pornoproduzenten und Videothekenbetreiber. Sie wurden durch Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (Aclu) unterstützt.

Weiterhin verboten bleibt auch nach dem Urteil das so genannte Morphing, also die Benutzung echten Bildmaterials von Kindern bei nachträglicher elektronischer Verarbeitung zu Pornografie. BERND PICKERT