: Kampfgruß an Queen Mum der DDR
Nostalgischer Abschied am Grab von Lotte Ulbricht, der Witwe von Ex-DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht. PDS schickt ihren Vize. Egon Krenz versichert: Sozialistische Idee lebt weiter. Überraschung in der Trauerrede: Lotte war doch im Westen
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Die DKP verabschiedete sich mit einem Kranz mit der Aufschrift „Mit Kampfesgrüßen“. Die PDS beließ es bei einem „Im stillen Gedenken“. Mehrere hundert Menschen nahmen gestern an der Beisetzung von Lotte Ulbricht, der Witwe des Ex-DDR-Staats- und Parteichefs Walter Ulbricht, in Berlin-Weißensee teil. Lotte Ulbricht war am 27. März im Alter von 98 Jahren gestorben. Seit dem Tod ihres Mannes 1973 lebte die „Queen Mum des Majakowskirings“ zurückgezogen im Ostberliner Stadtteil Pankow, wo sich in den 50er-Jahren die Politprominenz der DDR niedergelassen hatte. Bis zum Schluss hatte sie über ihr Leben an der Seite von Walter Ulbricht, der nach Kriegsende von den Sowjets mit dem schnellen Aufbau der KPD in ihrer Besatzungszone betraut und in dieser Funktion zum ersten Mann in der neu gegründeten DDR wurde, geschwiegen. Das Ende der DDR lastete sie dessen Nachfolger Erich Honecker an.
Die Trauergemeinde war eine Wiederauferstehung der untergegangenen DDR: Egon Kreuz, der ehemalige SED-Chef, der eine Haftstrafe wegen der Toten an der Mauer absitzt, war ebenso da wie der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler und der langjährige Vorsitzende der DKP, Herbert Mies. Die PDS hatte Diether Dehm, den stellvertretenden Parteivorsitzenden, geschickt. Die Trauerrede in der überfüllten Kapelle hielt die Witwe von Michael Benjamin von der Kommunistischen Plattform, der den Mauerbau für völkerrechtlich korrekt erklärt hatte. Seine Mutter war die DDR-Justizministerin Hilde Benjamin, die in Schauprozessen nicht vor der Todesstrafe zurückschreckte.
Immer wenn ein Stück DDR zu Grabe getragen wird, lebt der Osten wieder auf. Eine 63-jährige Frau mit einem großen Nelkenstrauß im Arm erzählte gestern, wie sie „Tante Lotte“ vor 30 Jahren kennen lernte. Im Haus von Wilhelmine Schirmer-Pröscher, Gründungsmitglied der LDPD und Ostberliner Gesundheitsstadträtin in den stalinistischen Anfangsjahren der DDR und bis 1989 Alterspräsidentin der Volkskammer. „Eine Parteifreundin meiner Mutti.“ Unter Tränen erinnerte sie sich, wie ihr damals 3-jähriger Sohn der „Tante Lotte“ gesagt habe, dass man nicht mit vollem Mund spreche, und dass diese bei einem späteren Treffen versprochen habe, das nicht mehr zu tun. Ein 65-jähriger Mann, der sich als „ehemaliger Dressman“ vorstellte, zog ein vergilbtes Album aus der Tasche. Stolz zeigte er Fotos von einer Modenschau 1969: in der ersten Reihe Lotte und Walter Ulbricht. Dass sich die Verstorbene den Westmedien stets verweigert hat, kann er gut verstehen. „Der Westen ist ja doch mehr Schein.“
In der Trauerrede wurde der „unverwüstliche Lebensoptimismus“ der Verstorbenen hervorgehoben. Auch nach dem Ausscheiden aus ihren Parteifunktionen nach dem Tod ihres Mannes sei sie „eine wache, parteiverbundene, streitbare Vertreterin der Partei“ geblieben. Und es wurde mit dem oft kolportierten Gerücht aufgeräumt, Lotte Ulbricht hätte nach dem Mauerfall niemals westlichen Boden betreten. Anfang der 90er-Jahre habe sie Busreisen an Rhein und Mosel unternommen, den Louvre und Gräber in Frankreich von „Freunden aus gemeinsamen Exiljahren“ besucht. Zuletzt sei sie 1994 nach Heidelberg gefahren. Nur kurze Erwähnung fand die Adoptivtochter. Nachdem sich Walter und Lotte Ulbricht im Hotel „Lux“, dem Moskauer Quartier für exilierte KP-Funktionäre kennen gelernt und zehn Jahre später geheiratet hatten, adoptierten sie ein Mädchen, das als junge Frau an Männern und Alkohol zugrunde ging. „Sie wuchs mit den Vor- und Nachteilen einer Funktionärsfamilie auf“, sagte die Trauerrednerin.
Das letzte Wort hatte Egon Krenz, der Lotte Ulbricht regelmäßig besucht hatte: „Wir wissen, dass der Niedergang der DDR nicht der Tod der sozialistischen Idee war. Die sozialistische Idee lebt weiter.“ Neben dem Urnengrab blies ein Trompeter „Die Internationale“ und „Das Lied vom kleinen Trompeter“.
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