: Des Eides Wahrheit
Immer wieder steht der Eid vor Gericht zur Diskussion. Das scheinbar antiquierte Ritual ist für Strafverteidiger unverzichtbar ■ Von Kai von Appen
In den US-Justizthrillern sorgt er für Dramatik: Der Zeuge wird aufgerufen, nach der Belehrung muss er erhobenen Hauptes die linke Hand auf die Bibel legen, während er die rechte Hand zum Schwur erhebt. Erst dann nimmt er im Zeugenstand Platz. Derartige Rituale sind im Alltag der deutschen Gerichten eher die Ausnahme. Doch eigentlich ist der Eid nach der Strafprozessordnung zwingend vorgeschrieben. Gerade unter StrafverteidigerInnen regt sich daher Widerstand, wenn eine neue Diskussion über die Abschaffung des Eides beginnt. „Es gibt bei uns Übereinstimmung, dass man die Vereidigung braucht“, sagt Wolf-Dieter Reinhard, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Hamburger StrafverteidigerInnen.
Eine typische Vernehmung geht zu Ende: „Gibt es noch Fragen an den Zeugen?“ Die Richterin blickt nach rechts und links, dann die obligatorische Frage: „Wird auf Vereidigung allseits verzichtet?“ Die Richterin blickt noch mal in die Runde, die Köpfe nicken, und es wir zu Protokoll genommen: „Der Zeuge bleibt unvereidigt.“
Doch wenn ein Prozessbeteiligter unerwartet sagt, „keine Erklärung“, und somit eine Vereidigung fordert, wirds auf der Richterbank unruhig. Dann wird hektisch im dicken grauen Band geblättert, um die Formel zu finden. Nach einigen Minuten müssen sich dann alle Anwesenden im Saal erheben. Und es beginnt das Ritual: wahlweise in zwei Variationen. Die einfache oder die religiöse Formel. Die erste ist kürzer „Ich schwöre“, die andere mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ mag unter gläubigen JuristInnen noch mehr bewirken.
Nun ist eine Falschaussage ohne Vereidigung strafbar. Doch wird eine einfache Falschaussage milder geahndet. Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Auf Meineid steht indes eine Strafe „nicht unter einem Jahr“.
Viele AnwältInnen machen von dem Verzicht natürlich Gebrauch, um auch ihre EntlastungszeugInnen zu schützen – gerade wenn Aussage gegen Aussage steht. „Aber wenn es nur belastende Polizeizeugen gibt, warum soll ich freiwillig auf Verteidigerrechte verzichten“, sagt Gabriele Heinecke. „Sollte es später zur Verurteilung kommen, kann das einen Polizisten den Job kosten.“
„Die Regelung hat sich bewährt“, findet auch Manfred Getzmann. Die Drohung der Vereidigung könne zudem ein „Druckmittel sein, dass ein Zeuge weich wird“. Nun ist auch diese Waffe nur begrenzt: „Es gibt nur ganz wenige Fälle, wo er für mehr Wahrheitsgehalt sorgt“, glaubt Andreas Beuth. „Er ist eine Rechtsinstitution“. Gerade in der Revison kann er eine Rolle spielen. Entweder wenn er zuvor als „Revisionsfalle“ eingesetzt wurde, weil RichterInnen bei der Anwendung formal oft Fehler machen, aber auch von substanzieller Art. „Eine Aussage findet in der Revision mehr Würdigung, als eine uneidliche Aussage“, so Reinhard. „Auf jeden Fall bekräftigt er symbolisch eine Aussage“, glaubt auch Johannes Santen. „Es ist mit dem Eid zwar keine Willkür in der Aussage auszuschließen, doch bei einer Abschaffung wird ein weiterer Schritt Rechtssicherheit abgebaut und Verteidigermöglichkeiten eingeschränkt.“ Reinhard ergänzt: „Die Vereidigung ist eines der letzten formellen Rechte, die inzwischen allesamt geschliffen worden sind.“
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