Drei Worte, eine Platte, eine Couch

Glückliche Kindheit, aufmüpfige Jugend und dann die Frage was tun, wenn nicht doktern: Thorsten Heller aka Maxwell Implosion hat seiner Umgebung der völligen Abschlaffung mit „Small Circle Of Friends“ ein sonniges Debüt hinzugefügt

von ULF LIPPITZ

Herumzulümmeln auf plüschigen Sofas, einen Cocktail in der einen, ein hübsches Gegenüber an der anderen Hand, feine Musik im Hintergrund – so sieht die neue Lieblingsbeschäftigung moderner Großstädter aus. Man könnte auch sagen: Loungen. Thorsten Heller arbeitet in dieser Umgebung der völligen Abschlaffung. Er filtert als DJ die Musik. Früher im Boudoir, heute überall auf der Welt. Sein Geschmack ist gefragt. Für große Plattenfirmen stellt der Mittdreißiger Lounge-CDs wie „Get Easy“ zusammen. Da Heller als Name irgendwie unsexy klingt, benutzt er das Pseudonym DJ Maxwell oder Maxwell Implosion.

Jetzt hat er es zu einem ganzen Album in Eigenregie gebracht. Lange hat es mit Produktion und der Veröffentlichungstaktik der Plattenfirma gedauert. Nun liegt sein Künstlerdebut „Small Circle Of Friends“ im wohl sortierten Handel. Eine sehr geschmäcklerische Angelegenheit. Hier finden sich Stileskapaden im Stile der wunderbar leichten ersten Air-Platte, aber auch ein ungebrochener Hang zu Soul und funky Rhythms a la Zero 7.

Was Maxwell von den Konkurrenten unterscheidet ist die völlige Verspieltheit, die absolute Sonnenverstrahltheit der Musik. Man braucht nicht die Bio zu lesen, um zu bemerken, dass Heller ein Bossa-Nova-Faible hat. Berlin vibriert. Alle rauf aufs Multi-Kulti-Sofa. We’ve come a long way, Thorsten. Von einer weltoffenen Sozialisation kann dabei keine Rede sein. Heller verbrachte Kindheit und Adoleszenz in den einsamsten Ecken der DDR: auf Hiddensee und in Greifswald. Er blickt nicht im Zorn zurück. „Ich hatte eine sehr schöne Jugend“, sagt er heute, in einer einschüchternd durchdesignten Dreizimmerwohnung an der Kantstraße. „Dadurch bin ich sehr naturverbunden geworden.“

Seine Eltern brachten ihn und drei Brüder auf den kritischen Weg. Die Folge, man ahnt es: Schwierigkeiten in der Schule, beim NVA-Wehrdienst und der Berufswahl. „Meine Entwicklung in der DDR ging wirklich durch einige Täler hindurch“, resümiert er mit einem kleinen spitzen Lächeln. Über zufällige private Kontakte erhielt er Einblick in die Karteien der Studienplatzvergabe Ost.

Inoffiziell hieß es dort, er habe schwarze Flecken. Heller erklärt: „Ich war politisch nicht vertrauenswürdig.“ Dann die Entscheidung: „Ich wollte weg.“ Bald ist er weg. Wie? „In einem Kofferraum“. Er erzählt das so, als berichte er über ein so dramatisches Erlebnis wie eine Nachtwanderung im Kinderferienlager. Ein bisschen Angst, klar, die hatte er. Aber sonst war es einfach Glück. „Das war ein Pole“, erinnert er sich. „Sein Vater war im Westen in der Militärmission akkreditiert, er selbst ging aber im Osten zur Schule. Der hat sich einen Spaß daraus gemacht, für Geld Leute rüberzubringen.“

Zwanzig Jahre. Maxwell ist im Westen angekommen. Er hört all die Platten, die er zu Hause nie hören konnte. Ab 1983 beginnt er aufzulegen. Auch sein Studientraum realisiert sich. Er beginnt Medizin zu studieren. Nebenbei entdeckt er eine neue Leidenschaft: das Sammeln. Auf Flohmärkten ergattert er Objekte, Möbel, Platten. Alles, was ihn irgendwie anspringt. Heute stehen in seiner Wohnung viele Gegenstände, die an die Sechziger und Siebziger erinnern. Nostalgie? Thorsten Heller rudert rasch dagegen: „Mein Blick ist immer nach vorne gerichtet – musikalisch als was auch den Rest anbelangt.“ Er sinniert ein wenig. Dann gibt er uns ein Beispiel: „Ich liebe es bestimmte Motive zu verfolgen. In der Küche hängt ein Plattencover von Herb Alpert. Da sitzt eine Frau bekleckert in einem Haufen Schlagsahne und hat eine Rose in der Hand. Zufällig habe ich dasselbe Motiv bei einem Kabarettisten aus den Siebzigern gefunden: Nur sitzt der auf einem Haufen Spaghetti und hat ein Grisini-Stäbchen in der Hand. Dasselbe Motiv gibt es bei einer dicken Frauenband, die sich mit Sahne eingeschmiert hat: Alle haben eine Rose in der Hand. Wenn die jetzt nebeneinander aufgehängt werden, passt das nicht wirklich zusammen – aber ich finde das sehr spaßig.“

Maxwell redet ohne Punkt und Komma. Es macht Spaß ihm zuzuhören. Aber man möchte auch irgendwann Fragen stellen. Dann muss man dazwischen gehen. Das tut weh. Wie oft findet sich ein Künstler, der eine Restaurateurausbildung abgeschlossen hat, weil er seine Vasen ordnungsgemäß glasieren möchte? Und wie selten spricht jemand von zerbrochenen Illusionen ohne Pathos?

Denn aus der Traum – so fühlte sich der Medizinstudent Heller mit zunehmender Semesterzahl. Er sah die Schulmedizin mit kritischen Augen: „Ich finde, ein Mensch hat auch das Recht zum Sterben. Man soll nicht nur das Leben verlängern um jeden Preis ungeachtet der Lebensqualität, die er dann hat.“ Der große Konflikt: Was tun, wenn nicht doktern? Die Lösung nahte aus einer unerwarteten Ecke. Die Labelmacher von Bungalow Records boten ihm aufgrund seines exzellenten DJing und eines Pizzicato-Five-Remixes einen Vertrag an. Lange hat Maxwell Implosion gebraucht, um den zu erfüllen. Jetzt ist das Ding draußen. Fertig. Und beginnt ein Eigenleben: Die Designer von Die Optimaten entwickelten passend eine Hauslandschaft zur Musik. Mit Palmen und allem Pipapo. Maxwell ist begeistert davon: „Es spiegelt genau die Stimmung wider, die wir damals in Italien im Studio hatten. Leichtigkeit, Wärme, Transparenz.“ Drei Worte, eine Platte, eine Couch.

Maxwell Implosion: Small Circle Of Friends, Bungalow/Labels