Die Bohemienne

Als Journalistin mischte Sandra Grether einst die „Spex“ auf. Mit ihrer Band „Parole Trixi“ versucht sie nun Gleiches in Hamburgs Musikszene. Ein Porträt

Es gibt nach wie vor zu wenig coole Mädchenbands, die selbstbestimmt sind

von SUSANNE MESSMER

Sandra Grether kommt zu spät. Wie immer, wenn ich ihr begegne, bin ich überrascht, wie sie den Raum beherrscht. Ihre Art, sich zu schminken: heftig. Was sie trägt: knallig. Wir setzen uns in den stillsten Winkel ihres Lieblingscafés, des „Saal II“ in Hamburg. Und schon geht es los, sie redet auf mich ein und erzeugt diese Energie.

Begeistert sein und andere damit anstecken, das ist eine Fähigkeit, für die Sandra Grether gekämpft hat. Enthusiasmus ist bei allem dabei, was sie macht. Gerade hat sie mit ihrer Band Parole Trixi ihre erste Platte „Die Definition von süß“ veröffentlicht. Darauf singt sie so punk, dass manche an die Muppets denken dürften. Aber auch wenn Parole Trixi derb klingen: Die etwas mögen, weil es ohne Rückhalt kommt, die werden die Platte von Parole Trixi als eine Seltenheit betrachten. Weil man nicht weghören kann. Und weil es eine Platte von einer Mädchenband ist, die über Mädchenthemen singt. Zum Beispiel: Warum geht es eigentlich nur bei Parole Trixi um die unromantische Mittellosigkeit, die das Leben als Bohemienne mit sich bringt? Warum gibt es so wenig Songtexte über die traurige Aussicht, dass sich die anderen so lange in Beauty-Tipps begraben? Darüber, wie es ist, den Weg zu gehen, den man sich erst selbst ebnen musste?

Tatsächlich sieht es so aus, als hätte Sandra Grether die letzten zehn Jahre damit verbracht, das, was sie jetzt tut, vorzubereiten. Viele kennen sie noch aus der Zeit, als sie Anfang der Neunziger zusammen mit ihrer Schwester Kerstin die Hochburg des diskursiven Musikjournalismus von Jungs für Jungs, die Spex, auf den Kopf stellte. Eine Tapferkeit, für die man sie schon bewunderte, bevor man sie kannte. Für die man sie noch mehr bewunderte, als man den beiden öfter begegnete. Wie sie immer die letzten waren, die nach Hause gingen. Wie sie einem noch Argumente um die Ohren hauten, wenn man längst nur ans Schlafen denken konnte. Aber vielleicht fiel es ihnen ja auch leichter als anderen, als Frauen mit braverem Hintergrund: Schließlich waren sie gerade mal dreizehn, als Sandra und Kerstin Grether ihr Musikfanzine Straight gründeten. Gerade sechzehn, als sie von zu Hause aus- und nach Köln zogen. Achtzehn, als sie ihre ersten Texte für die Spex schrieben. „Der Journalismus war für mich existenziell“, erzählt Sandra Grether. Fast entschuldigend berichtet sie von ihrem neun Jahre älteren Bruder, gegen den sie das Durchsetzen lernte. „Ich hatte von Anfang an viel an der Spex auszusetzen“, sagt sie und lässt Revue passieren, wie sich ihre Schreibweisen über die Jahre verändert haben. Zuerst das Fanzine. Dann betrieb sie eine Zeit lang „ernsthaften“ Musikjournalismus. Mitte der Neunziger schwappte Riot Grrrl aus Amerika herüber: „Von da an ging es für mich nur noch darum, wie man Riot Grrl in die Zeitschrift kriegt.“

Als Sandra Grether und ich uns auf den Weg zum Proberaum machen, denke ich daran, wie die Texte von Sandra und Kerstin Grether immer die ersten waren, die man las in der Spex. Wie Sandra Grether über Frauenbands aus Amerika schrieb, die immer mehr zu werden schienen, und wie sie ihren subjektiven Standpunkt in ihre Text einzubauen begann, so, wie sie es schon als Teenager gemacht hatte, so, wie man es jetzt in den Theorien nachlesen konnte, die en vogue waren. „Endlich ging es mal um Sozialisation“, sagt sie, und meint, dass sie von da an beschrieb, wie man als Mädchen Poster von seinen Lieblingsstars sammelt, dass man aber nie eine trifft, die Gitarre spielt.

Mitte der Neunzigerjahre begann für Sandra Grether eine Phase der Radikalisierung, aber auch eine Zeit, die sie fast nicht überlebt hätte. Noch während sie mitreißende Artikel über die Riot Grrrls, über Frauenfreundschaft, Körperpolitik und coolen Feminismus schrieb, über Punk und den Mut zum Dilettantismus, mitten in dieser Zeit wurde Sandra Grether magersüchtig. „Ich konnte es kaum glauben, dass es keine politische Debatte darüber gab“, sagt sie. Aber es lag nicht nur am Schlankheitswahn, es lag auch an ihrer Stellung in der Spex: Sie erzählt von einem Universum, in dem sie sich nicht mehr zu Hause fühlte. „Oft hatte ich die Funktion einer Muse. Ich redete mit einem Kollegen und fand später meine Argumente in seinem Text wieder.“

Die Folge: Sandra Grether zog sich aus dem Journalismus zurück, wie es scheint, endgültig, und verlegte ihren Wohnort nach Hamburg. Dort gründete sie 1998 Parole Trixi und stürzte sich in das, was sie an Riot Grrrls wie Bikini Kill oder Hole so gemocht hatte. Kaum, dass sie mit ihrer Band fünf Lieder aufgenommen hatte, ging sie auf Tour.

Inzwischen scheint sie angekommen hier, in Hamburg, denke ich, während wir durchs Schanzenviertel bummeln. Als wir im Proberaum ankommen, erzählt Sandra Grether, dass in demselben Bunker auch Blumfeld proben und wie lustig es ist, deren neue Songs zu hören, wenn sie noch keiner gehört hat. Sie schnallt sich ihre Gitarre um, lächelt kurz verlegen, singt mir als einziger Zuschauerin ins Gesicht, ohne Band im Rücken: „An der Ecke der Plattenladen kann mir leider nichts mehr sagen. Denn meine momentanen Gemütsballaden handeln nur noch von Schokolade.“

Und wie ist der Stand heute, frage ich sie noch, kurz bevor wir uns verabschieden. Sie sagt: „Ich habe wirklich mal eine Zeitlang gedacht, jetzt wird alles ganz toll. Aber heute gibt es nur noch wenige Frauen, die über Pop schreiben“, sagt sie, und: „Es gibt nach wie vor zu wenig coole Mädchenbands, und viele Sängerinnen arbeiten zu wenig selbstbestimmt.“ Man sieht es schon in Hamburg, wie viele Jungs es hier gibt, die Platten rausbringen. Als Frau braucht man einen längeren Anlauf. Auch wenn man Sandra Grether heißt.

Parole Trixi: „Die Definition von süß“ (WSFA/Indigo). Tour: 24. 4. Berlin mit Metrodiv, 26. 4. Frankfurt mit Thomas Meinecke, 27. 4. Hannover mit Bernadette La Hengst, 6. 5. Duisburg, 7. 5. Kassel, 8. 5. Ludwigsburg, 9. 5. Dresden, 17. 5. Kiel, 6. 6. München