: Die Au-pair heißt „Schwester“
Auf den Spuren der Zigarettenhändler. Viele illegale Vietnamesen schneiden heute Gemüse, passen auf die Kinder auf oder arbeiten schwarz im Export-Import-Handel
„Das ist meine Schwester. Sie holt die Kinder jetzt jeden Tag aus der Kita ab,“ hat Lan der Erzieherin in der Kita erzählt, als sie ihr neues Adoptivmädchen dort vorstellte. Lan hat als ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiterin ein unbefristetes Bleiberecht in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie einen Imbiss, in dem sie zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeitet. Binh, die „Schwester“ geht Lan jetzt im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zur Hand.
Auch wenn die beiden Frauen nach deutschen Maßstäben keine Schwestern sind, so ganz falsch ist Lans Behauptung nicht. Vor einigen Wochen hatte sie einen Brief von ihrer ehemaligen Lehrerin aus Hanoi erhalten. Die schrieb, die Enkeltochter ihres Mannes aus erster Ehe lebe jetzt in Berlin, und bat Lan, sich um Binh „wie um eine Schwester“ zu kümmern. Weil die konfuzianistisch erzogene Lan das Wort ihrer Lehrerin lebenslänglich befolgt, nennt sie die Frau mit ruhigem Gewissen „Schwester“. Seit die 21-Jährige in ihrem Haushalt lebt, müssen die Kinder nicht mehr abends in der Kälte vor dem Imbiss stehen, in dem Lan bis 19 Uhr Chinarollen verkauft. Sie kommen jetzt in eine warme Stube und haben die Chance, die vietnamesische Sprache zu lernen. Die „Schwester“ schneidet auch Gemüse für den Imbiss.
Für Binh ist der „Familiendienst“ eine nicht ganz freiwillige Alternative zum Verkauf unverzollter Zigaretten. Eine Alternative, für die sie wie ein Au-Pair-Mädchen 200 bis 300 Euro, Verpflegung und familiäre Geborgenheit bekommt. Legal ist das nicht, weil die Frau aus Hanoi als Asylbewerberin nicht arbeiten darf.
Beim Zigarettenverkauf würde sie besser verdienen, wenn genügend schwarze Glimmstengel im Angebot wären. Aber seit Ende 2000 ist die schwarze Ware knapp. Zoll und Polizei in Berlin haben die Köpfe jener Banden ermittelt, die die Zigaretten hierher bringen. Das sind Polen, Litauer, Deutsche und Ukrainer. Vietnamesen arbeiteten in den Verteilketten immer nur als als Straßenhändler im letzten Glied.
Neben dem weit verbreiteten Familiendienst arbeiten abgelehnte vietnamesische Asylbewerber, die von Vietnam nicht zurückgenommen werden, heute meist schwarz in den Firmen ihrer Landsleute, z. B. als Verkäufer in Asia-Shops. Tamara Hentschel von der Beratungsstelle für Vietnamesen „Reistrommel“ sieht mit Sorge aber auch, dass sehr junge vietnamesische Asylbewerber, die keine Zigaretten mehr verkaufen können, heute als Diebesbanden durch die Kaufhäuser ziehen. MARINA MAI
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen