: Wie in einer Möbius-Schleife
Weiße Handschuhe und „Erdbeeren“: Einflussreiche Kreise planen ein Rave-Revival. Die junge Zielgruppe ist noch unentschlossen. Oder sie weiß gar nicht, was das sein soll
Mensch, das waren Zeiten. „Wenn man in einen Club ging, kannte man normalerweise die meisten Stücke aus den Charts. Aber im Arkham Asylum war das anders. Diese Musik hatten wir noch nie gehört. Die Leute waren voll drauf, einer tat so, als sei er ein Baum. Alle hatten weiße Handschuhe an und bliesen auf Trillerpfeifen.“
In der Kolumne „Ravers Reunited“ erinnern sich in der britischen Musikzeitung Muzik altgediente Tanzflächen-Recken an die Zeit, als sie zu ihren ersten Raves gingen. Es war die Zeit von Acid House, Smileys, Wick-Nasenfrei und Stüssy-T-Shirts, als Extasy als „Erdbeeren“ angeboten wurde. In Großbritannien wird diese Zeit zwischen 1987 bis 1991 nun ins Legendäre erhoben, während sie in Deutschland nie stattgefunden hat.
Als 1989 ein paar hundert Leute zur Love Parade kamen, gab es in Großbritannien schon Open-Air-Raves mit tausenden von Teilnehmern und das britische Parlament verabschiedete ein Gesetz gegen das Abspielen von lauter Tanzmusik im Freien. In Deutschland las man in der Face oder mit einigen Monaten Verspätung in inzwischen eingegangenen Lifestyle-Blättern wie Wiener oder Tempo über das neue Ding aus England. Aber die deutschen Tanzflächen hat das erste Rave-Fieber kaum erreicht. Acid House und seine diversen Ableger wurden in Deutschland nur von einer kleinen Gruppe von Cognoscenti zelebriert. Viele von ihnen wurden in den 90er-Jahren zu einflussreichen DJs und Produzenten, als Techno sich in Deutschland zu einem Massenphänomen entwickelte.
Nachdem in der deutschen elektronischen Tanzmusik ein kleines Revival der Neuen Deutschen Welle inszeniert wurde, versuchen einflussreiche Kreise nun ein Comeback des Rave-Sounds zu inszenieren. Im Vorgriff auf das erwartete Rave-Revival hat das britische Club- und Label-Konglomerat Ministry of Sound in Deutschland einen Sampler mit 40 House- und Rave-Stücken veröffentlicht. Ministry of Sound, ursprünglich eine Diskothek in London, heute ein professionell vermarktetes Medienimperium mit Ablegern in Ibiza und Bangkok, veröffentlicht schon länger Sampler mit Clubhits und will sich nun auch in Deutschland ein Standbein sichern. Nach einer Kompilation mit deutschen Elektronika ist „Back to the Old Skool“ nun eine Art Nachhilfestunde in einer Epoche elektronischer Tanzmusik, die in Deutschland kaum stattgefunden hat. Mit Beiträgen von 808 State, den Shamen, S Express, Beats International und Prodigy ist der Sampler ein repräsentativer Überblick über diese Zeit. Genauso viele wichtige Stücke fehlen freilich auch. Die härteren Acid- und Bleep-Tracks kommen gar nicht vor, und dass KLF auf dem Sampler nicht vertreten sind, ist natürlich ein Lapsus. Aber auf dem Cover ist wieder das gelbe Smiley zu sehen, und bei einer Release-Party in Berlin wurde mit Hilfe der Stereo-MCs schon mal demonstriert, wie das geplante Rave-Revival auszusehen hat.
Ob das Publikum, das Ende der Achtzigerjahre zum Teil gerade mal in der Vorschule war, das gemerkt hat? Voll aufgedreht klingen die meisten Tracks aus dieser Zeit noch immer so frisch, dass man kaum merkt, dass viele der Songs anderthalb Jahrzehnte alt sind. Wer diese Musik aber damals kannte, glaubt sich in einer musikhistorischen Möbius-Schleife gefangen, in der es keinen linearen Ablauf von Musikgeschichte mehr gibt, sondern nur eine Wiederkehr des ewig gleichen stampfenden Rhythmus. Aber das Rave-Revival könnte in dieser Runde einfach darum ausfallen, weil die historische Differenz nur wenigen auffällt. TILMAN BAUMGÄRTEL
„Back to the Old Skool“: 40 Classic House and Rave Anthems. (Ministry of Sound)
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