: Trend zurück zum Rastern
Nach dem Anschlag von Djerba glauben die Befürworter der Rasterfahndung neue Argumente zu haben. Gerichte geben ihnen Recht. Dabei hat die Sammelwut der Polizei bisher nur wenig gebracht
von YASSIN MUSHARBASH und WOLFGANG GAST
Noch vor zwei Monaten schien die Rasterfahndung am Ende. Jetzt erlebt sie eine Renaissance. Doch die Kernfragen sind noch immer nicht beantwortet: Was bringt der massenhafte Datenabgleich? Und wie unmittelbar muss die Terrorgefahr sein, um ihn zu rechtfertigen?
Das vorläufig letzte Urteil zur Rasterfahndung wurde unter dem noch frischen Eindruck des Attentats von Djerba verkündet: Das Kammergericht Berlin erklärte die Rasterfahndung am Montag für gerechtfertigt und hob den Rasterstopp des Berliner Landgerichts vom Januar auf. Die Kammerrichter waren der Ansicht, der Gefahrenbegriff sei vom Landgericht zu eng gefasst worden, und sprachen von einer „Dauergefahr“ durch mögliche Terroranschläge.
Das wahrscheinlich nächste Gerichtsverfahren steht in Hessen bevor: Dort hatte das höchste Gericht noch vor zwei Monaten die Rasterfahndung für unrechtmäßig erklärt. Doch der hessische Innenminister und Rasterfahndungsfreund Volker Bouffier (CDU) legte umgehend einen neuen Gesetzentwurf vor, um den umstrittenenen Datenabgleich zu ermöglichen. „Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird der Asta umgehend die nächste Klage einreichen“, kündigte der Gießener Studentensprecher Tjark Sauer bereits an.
Seit Wiedereinführung der Rasterfahndung im Oktober 2001 gab es in acht Bundesländern Verfahren um ihre Rechtmäßigkeit. Und beim Bundesverfassungsgericht ist mittlerweile eine Verfassungsbeschwerde eingereicht worden.
Möglicherweise werden erst die obersten Richter eine endgültige Antwort finden – auf die entscheidende Frage: Wie unmittelbar muss die Gefahr terroristischer Anschläge sein, um die Rasterfahndung zu gestatten?
Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die Rasterfahndung in einem Land nach dem nächsten gekippt – schließlich hatte die Bundesregierung ja erklärt, konkrete Terrorgefahr gebe es in Deutschland nicht. Dann aber setzte ein Trendwende ein: Ein Gericht in Nordrhein-Westfalen erklärte die Rasterfahndung für grundsätzlich zulässig, in Hamburg und Rheinland-Pfalz wurde sie für gerechtfertigt erklärt, nun folgte das Berliner Kammergericht mit seiner Theorie von der „Dauergefahr“.
Aber was hat die Rasterfahndung eigentlich gebracht? Nach den bisher vorgelegten Ergebnissen aus den Bundesländern wurden bis März fast 23.000 Personen aus den gesammelten Daten gefiltert und an das Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet. Mindestens 212 eigene Abgleichdateien habe das BKA bisher angelegt, in denen etwa Lizenzinhaber für Gefahrgutransporte oder Ausländer mit verlorenem Pass zusammengefasst sind, berichtete der Spiegel. Und doch konnten die Beamten bisher trotz allem keine Terrorverdächtigen ermitteln. Zumindest bis vor einer Woche.
Am vergangenen Freitag verlautete aus dem Büro des Generalbundesanwalt Kay Nehm, dass man gegen mutmaßliche Sympathisanten der Al-Qaida in Hamburg aktiv werde. Die Ermittlungen seien unter anderem durch Erkenntnisse aus der Rasterfahndung möglich geworden. Und auch wenn der Anschlag von Djerba bisher nicht in einen Zusammenhang mit Ergebnissen der Rasterfahndung gebracht werden konnte, hat das Attentat ihren Befürwortern doch Auftrieb verliehen. Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) begrüßte das Urteil vom Montag mit der Bemerkung, nun sei sichergestellt, dass Berlin die Rasterfahndung bei weltweit agierenden terroristischen Gruppen einsetzen könne.
Doch gerade in dieser Rechtfertigung der Rasterfahndung durch eine potenziell ständig und überall lauernde Gefahr sehen Kritiker die wahre Brisanz: „Wenn von einer Dauergefahr ausgegangen wird, müssen wir damit rechnen, dass das BKA die Daten langfristig speichert“, warnt Wilhelm Achelpöhler, der als Anwalt Kläger gegen die Rasterfahndung vertritt. Er glaube deshalb den Behörden nicht, wenn sie sagten, alle unnützen Daten würden gelöscht. Letzten Endes werde das BKA über eine Datei aller arabischen Studenten in Deutschland verfügen.
Die Hauptsorge des Anwalts gilt der Aushöhlung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, das auch durch die freiwillige Weitergabe der Daten Angestellter etwa durch Elektrizitätswerke bedroht sei. Traditionelle Polizeiarbeit sei für die Verhinderung von Terroranschlägen effektiver, vermutet Achelpöhler. Viele Kriminalisten teilen diese Einschätzung. So bemängelte der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen, die Rasterfahndung bereits im Herbst als untauglich, weil das Raster viel zu grob sei und zu viele unbescholtene Personen zu „Recherchefällen“ würden. Ebenfalls fragwürdig sei nach Auskunft einiger Kriminalisten, wie effektiv die bundesweite Rasterfahndung überhaupt noch sein könne, wenn in einigen Ländern wegen der zumindest vorläufigen Stopps bereits Daten gelöscht wurden.
In Berlin stellte sich unterdessen heraus, dass nach dem Rasterstopp im Januar die Daten gar nicht gelöscht, sondern bloß auf Eis gelegt worden waren.
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