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Gegen die Macht der Etablierten

aus Wien RALF LEONHARD

Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Haiders Platzhalterin in der Regierung, und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) hatten eine gemeinsame Interpretation für die Schlappe der französischen Sozialisten und das blamabel niedrige Ergebnis von Präsident Jacques Chirac parat: Die Wähler hätten ihre Regierung für die ungerechten Sanktionen gegen Österreich bestraft. Man erinnert sich: als Wolfgang Schüssel vor zwei Jahren einen Tabubruch beging, indem er mit der rechtspopulistischen FPÖ seine Koalition schmiedete, war Frankreich einer der Wortführer der Isolationspolitik gegenüber Schüssel und Co. „Es ist die österreichische Hybris, dass das Wahlergebnis als Votum gegen die Sanktionen“ gedeutet werde, meint dazu die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz.

Jörg Haider selbst hütete sich, in Triumphgeheul zu verfallen. Das Ergebnis sei bedenklich, wenn auch verständlich, erklärte er in staatsmännischem Ton. Die Schadenfreude jedoch war nicht zu überhören: „Le Pen hat es verstanden, die Franzosen das Fürchten zu lehren. Das steht den Franzosen ganz gut.“ Und auch so richtig distanzieren vom rechtsradikalen Kollegen wollte er sich nicht: „Jeder, der im Rahmen einer Mitterechts-Politik sich gegen überbordende Zuwanderung und Asylmissbrauch ausspricht, wird mit dem Attribut des Extremisten ausgestattet.“

Tatsächlich weist die Situation in Frankreich einige bemerkenswerte Parallelen zu der in Österreich auf. Haider war durch seine Opposition gegenüber zwei Parteien groß geworden, die sich scheinbar auf ewige Zeiten in der Macht eingenistet hatten und dabei erstarrt waren. Auch in Österreich hatten die Sozialdemokraten nicht davon profitiert, dass sie den Sicherheitsdiskurs der Rechten kopierten, und flogen aus der Regierung. Gegenüber den Analysen mancher französischer Politologen, jetzt hätte die Haiderisierung Frankreichs begonnen, machte Le Pen zu Recht geltend, früher dagewesen zu sein. Seine Front National habe schon vor 30 Jahren gegen Überfremdung gewettert. Die mehr als 20 Jahre Altersunterschied erklären für Streeruwitz auch die unterschiedliche Radikalität: „Le Pen ist ein alter Mann und kann sich in einer anderen Direktheit äußern. Haider muss immer noch daran denken, dass er halt auch nächstes Jahr irgendwo auftreten will.“ Der „kokette“ Jörg Haider sei verspielter, „während dieser alte Kracher jetzt auf den Genickbiss geht.“

Gemeinsam ist beiden wohl, dass sie eine linke Sozialpolitik verfolgen, rekrutiert sich ihre Klientel doch in erster Linie aus den kleinen Leuten, den unterdurchschnittlich Gebildeten und vom Leben Benachteiligten. Beide Politiker bieten einfache Antworten auf schwierige Fragen. Allerdings beweist Jean-Marie Le Pen die ideologisch klarere Haltung und leistet sich den Luxus, nicht opportunistisch zu taktieren. Für die Literatin Streeruwitz ist Haider „ein bissl bunter, nicht so klar strukturiert“. Das hänge auch mit der unterschiedlichen Geschichte zusammen: „Österreich ist eine Spielwelt. Da gibt es die ganzen Probleme wie etwa den Algerienkrieg, der die Generation Le Pens nachhaltig geprägt hat, nicht.“

Auch die Kriminalität in den Vorstädten, der die französische Polizei ohnmächtig gegenübersteht und die den Erfolg Le Pens zu einem wesentlichen Teil erklärt, ist Österreich fremd. Mit den Ängsten der Bevölkerung spielt man trotzdem. Vielleicht kein Zufall, dass FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler gerade jetzt eine weitere Verschärfung des Asylrechts durchsetzen will.

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