: Wenn Wachsen belastet
Kongress der Norddeutschen Kinder- und Jugendärzte in Hamburg: Die Spuren einer Frühgeburt vernarben nur langsam. Jugendliche Qualen mit Sex und Essen führen oft zur Magersucht
Spuren auf Körper und Seele: „Die Spuren, die man hinterlässt, wenn man Kinder ab der 24. Woche aufzieht, spielen noch Jahre später eine Rolle", weiß Professor Hans-Henning Hellwege von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE. Die viel zu früh Geborenen müssen oft über einen langen Zeitraum künstlich beatmet werden, es dauert oft Jahre, bis ihre Lunge sich normal entwickelt, so lange sind sie extrem infektanfällig und leiden häufig unter Sauerstoffmangel.
Mit Kindern – von ihren ersten Atemzügen bis zum Erwachsenwerden – beschäftigten sich am Wochenende etwa 400 norddeutsche Kinder- und Jugendärzte im CCH. In einer seit zehn Jahre dauernden Langzeitstudie haben Hamburger Wissenschaftler die Frühgeborenen aller Hamburger Krankenhäuser untersucht. Und Hellwege weiß deshalb: „Auch mäßig Frühgeborene, die nach 32 Wochen kamen und keine Beatmung brauchten, weisen nach zehn Jahren vermehrt psychologische Auffälligkeiten auf.“ Konzentrationsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten seien bei diesen Kindern häufiger als bei anderen. Die Ursachen sieht Margarete Berger, Direktorin der psychosomatischen Abteilung der UKE-Kinderklinik, in den extrem schwierigen Beziehung zwischen Eltern und Kind in den ersten Lebensmonaten der Frühgeborenen.
„Monatelange Krankenhausaufenthalte, die ganze Technik, die Eltern sind extrem schockiert und verunsichert." Kommt das Kind endlich nach Hause, ist es ein Fremdling: „40 Prozent der Misshandlungen passieren in diesem Alter", sagt die Wissenschaftlerin. Denn die Verunsicherung in Kombination mit dem Praxisschock der Eltern kann zur Eskalation führen: "Im dritten Lebensmonat des Kindes erreicht die Beziehung oft ihren Tiefpunkt." Für Berger ist klar: "Diese Mütter brauchen eine psychologische Hilfe, die über gute Ratschläge hinausgeht."
Jugendliche waren das zweite Schwerpunktthema des Kongresses. Professor Gunter Schmidt von der Abteilung für Sexualforschung des UKE berichtete beispielsweise über das veränderte Sexualverhalten Jugendlicher. 80 Prozent der Jugendlichen hätten heute ihren ersten Sex zwischen 15 und 18, meist in festen Beziehungen. In denen hat sich das Geschlechterverhältnis allerdings gewaltig geändert: Während in den 70er Jahren noch 80 Prozent der Mädchen angaben, „das erste Mal habe ich es ihm zuliebe gemacht", sagen das heute nur noch 20 Prozent. Auch Verhüten ist seltener ein Problem, weshalb die Zahl der Teenager-Schwangerschaften und der Abtreibungen kontinuierlich zurückgehe.
Eine Entwicklung, die auch Schattenseiten hat: „Die Jugendlichen werden früh in eine Sexualität hineingestoßen, die sie erst finden müssen", sagt Margarete Berger. Bin ich homo oder hetero? Und wie integriere ich diesen unkontrolliert wachsenden Körper? Wenn die Akzeptanz für den sich verändernden Körper fehlt, führe das häufig zu Essstörungen, Magersucht oder Bulimie: Außenstehenden fällt das oft erst auf, wenn sie bereits bedrohlich sind, und sind sehr schwer zu behandeln, weil die PatientInnen häufig keinen ausreichenden Leidensdruck spüren.
Meist sind es Mädchen, die unter der Krankheit leiden, wobei die Zahl der Jungen zunimmt. Knapp die Hälfte dieser Frauen verfolgt die Krankheit bis in ihr drittes oder viertes Lebensjahrzehnt. Sorge bereitet besonders die hohe Sterblichkeitsrate bei Magersüchtigen: Fünf Prozent sterben innerhalb von zehn Jahren. Sandra Wilsdorf
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