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Keine Fähr-Bockwurst mehr

■ Am niedersächsischen „Jahrhundertbauwerk“ Wesertunnel ist das Gröbste gepackt: Ökologen und Verkehrspolitiker kritisieren den „Irrsinn“ weiter, trotzdem dürfte er Ende 2003 fertig sein

Die Fährleute und die Bauern haben protestiert, zwei Grüne waren auch da, aber im Fernsehen haben sie nur die fünf Punks gezeigt, die am Tag des großen Spatenstichs, am 16. Februar 1998 versuchten, Flagge gegen das niedersächsische „Jahrhundertbauwerk“ zu zeigen. Irgendwie findet Dieter Hamer vom Straßenbauamt Oldenburg das auch heute noch ungerecht. „Das hier“, sagt er und zeigt auf die Riesenbaugrube für den Wesertunnel zwischen Dedesdorf und Kleinensiel, „ist nämlich nicht zu toppen.“

Bautechnisch sind die beiden 1.600 Meter langen Betonwürste 25 Meter unter der Weser, die zukünftige B 437, vielleicht ein Meisterstück, umstritten ist der Tunnel trotzdem. „Tscha“, sagt Hamer, ein gemütlicher Tiefbauer mit Pausbacken, „das mit der Bockwurst auf der Fähre dürfte bald vorbei sein.“ Wie oft hat er in der Schlange vor den Weserfähren gestanden – derzeit verbinden noch fünf die Weser-Ems und die Elbe-Weser-Region. Die nächste Brücke ist 65 Kilometer entfernt, in Bremen. „Da stehste oft eine dreiviertel Stunde im Stau“, weiß der Baumann.

So um den Nikolaustag 2003 wird damit Schluss sein. Dann, schätzt Hamer, „kann jeder locker in nur zwei Minuten unter der Weser durchfahren.“ Der Zeitgewinn kostet 390 Millionen Mark, Fußgänger und Radfahrer müssen draußen bleiben. Die Betonwürste mit ihren elf Metern Durchmesser sind im Rohbau fertig. An den 20 Kilometer langen Zufahrtsstraßen mit ihren 20 Brücken, die die zukünftige B 437 anbinden sollen, wird überall gebaggert. Unter den Zubringern wird der aus der Erde geschaffte Boden verarbeitet – 540.000 Kubikmeter, soviel, wie in 50.000 Lastwagen passt. Auch 410 Hektar Ausgleichsflächen wurden ausgewiesen. Umweltschützer klagen trotzdem: Die Zerstörung der Marsch um Rodenkirchen und auf der östlichen Seite der Weser ist überall zu sehen.

Direkt in der Nähe des AKW Unterweser warten bereits neue Gewerbegebiete auf Firmen. Aber Michael Frömming vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) hält das Argument, der Tunnel würde Jobs bringen, für abwegig:„Die Gleichung Autobahn = Arbeitsplätze wird nicht aufgehen.“ Im Gegenteil, er glaubt, dass mit dem Tunnel mehr Leute aus der Region wegpendeln.

„Der Wesertunnel ist der Türöffner für eine neue Autobahn“, fürchtet Frömming. Er hält die Weserquerung nur für ein Teilstück einer Transitachse zwischen Hamburg und den Niederlanden: Eine Fortsetzung der Ostseeautobahn A 20, die um Hamburg herum nach Stade führen soll. Von dort aus würde die A 22 Richtung Bremerhaven Süd rauschen, sorgt sich der VCD-Mann. Für eine Bundesstraße sei der Tunnel mit seinen vier Fahrbahnen viel zu üppig ausgestattet. „Warum“, fragt Frömming, „baut man so ein gigantisches Ding?“

Ingenieur Hamer sieht das anders: Der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, der die A 22 in den Augen von Handelskammern, CDU und ADAC „noch“ notwendiger machen würde, „kommt eh nicht.“ Dennoch, Hamer hat seinen Teil beigetragen. Das Gröbste ist gepackt. Obwohl die wachsweiche Erde der gigantischen Schildvortriebsmaschine, die sich unter der Weser durchbohrte, zu oft den Garaus machte. „Der Lauenburger Ton hat uns echt gequält – weich wie der Sand inner Eieruhr“, erzählt Hamer. Derzeit wird an den vier Quertunneln gewerkelt, die für Sicherheit im Tunnel sorgen sollen. Damit den Bauleuten nicht die Wesersuppe entgegenkommt, wurde das Erdreich rund um die Mini-Tunnel zunächst mit 25 Querschläuchen auf bis zu minus 38 Grad gefrostet. Hamer: „Wie Fürst-Pückler-Eis. Erst dann sind wir da bergmännisch mit Presslufthammern ran.“

An den Röhren stehen Namen wie „Bärbel“ oder „Ingrid“. Das sind die Namen der Sekretärinnen der Baugesellschaft, die die Patenschaft für die Tunnel übernommen haben. „Dafür bringen sie hier ab und an einen Kuchen vorbei“, erzählt Hamer. Frauen sind hier in den klammen, kühlen Rohren nicht zu sehen, haben in der Männer-Bauarbeiterwelt aber trotzdem was zu Sagen. Überall hängen Statuen der Patronin der Bergleute, der Heiligen Barabara. Zuerst weigerten sich die evangelischen Pastoren der Umgebung, das katholische Teufelsweib zu weihen. Inzwischen glaubt aber selbst Hamer, dass an den Barbara-Kästen irgendwas dran sein muss. „Als dort mal das Licht ausging, hat sich eine Lok selbstständig gemacht. Das ist schon verhext.“

Langsam kehrt Ruhe ein an der einst größten Baustelle Niedersachsens. Statt drei wird nur noch eine Schicht lang geschuftet, die Zahl der Bauarbeiter hat sich von 200 auf 90 verringert. Im nördlichen Tunnel tragen schon die Bagger den Sand auf 3,40 Meter Höhe, hier kommt ganz zum Schluss der Asphalt drauf. Hamer ist stolz, sehr stolz. Nur noch vor einem hat der 52-Jährige Angst – dass da mit den Wahlen was schief geht. Politiker legen nämlich Eröffnungsfeiern für derartige Projekte gerne in die Wahlkampfzeit. „Beim Bau der A 280 mußten wir auf einmal drei Monate früher fertig werden, weil Helmut Kohl die Wahlen vorverlegt hatte. Ich hab' da schon Einiges erlebt.“ Kai Schöneberg

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