: „Arbeit gibt es schließlich genug“
Hilmar Schneider vom Institut Zukunft der Arbeit kritisiert, dass zu viele Menschen Jobs zu einem Preis wollen, der nicht ihrem Marktwert entspricht
Interview ELKE HEYDUCK
taz: Sie diskutieren am Donnerstag auf dem taz-Kongress zum Thema neue Arbeitsmarktpolitik. „Fördern und fordern“ – was sagt Ihnen das Motto der Veranstaltung?
Hilmar Schneider: Die Probleme der derzeitigen Arbeitsmarktpolitik sind richtig erkannt, aber es fehlt immer noch der Mut, sie konsequent anzupacken. Das gilt erst recht für die Phase knapp vor der Bundestagswahl. Da trauen sich weder Regierung noch Opposition, den Knüppel aus dem Sack zu lassen.
Was wäre denn der Knüppel aus dem Sack?
Alles was dazu beiträgt, dass die Erwerbsaufnahme für Personen, die am Markt nur einen geringen Lohn erzielen, attraktiver wird. Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe – das wird ein Schritt sein, der sicher kommt und der genau in diese Richtung geht.
Sie glauben, dass viele Leute dadurch wieder in Lohn und Brot kommen?
Ja, denn jetzt ist es so, dass jemand, der Transfers bezieht, bei jedem Job vor der Frage steht: Liegt das Einkommen hinreichend weit über meinem Anspruch? Wenn das vielleicht nur 200 Euro sind, dann werden viele sagen, das mach ich nicht.
Wollen nicht die meisten Menschen arbeiten, vorausgesetzt, die Stelle ist von erträglicher Qualität?
Dass die meisten Menschen arbeiten wollen, bestreite ich nicht. Das Problem ist weniger die Qualität als der Preis der Arbeit. Viele Menschen wollen eben nur zu einem Preis arbeiten, den der Markt für sie nicht hergibt. Arbeit gibt es genug, nur passen Anspruchslohn und Marktlohn immer seltener zusammen, und daran trägt das derzeitige System sozialer Sicherung eine gehörige Mitschuld.
Wollen Sie die Sozialhilfe kürzen?
Das ist gar nicht nötig. Was man verändern muss, ist der Anreiz zur Arbeitsaufnahme. Wenn ich den Transferanspruch daran knüpfe, dass der Betroffene dafür gemeinnützig Vollzeit arbeitet, dann sind plötzlich die Jobs attraktiv, deren Lohn nur wenig über den Hilfeansprüchen liegt. Man bezeichnet das gemeinhin als „workfare“. Darauf läuft es früher oder später hinaus. Ein Drittel bis die Hälfte unserer jetzigen Arbeitslosigkeit könnte man damit in den Griff bekommen. Es betrifft in erster Linie gering qualifizierte und ältere Arbeitnehmer.
Nehmen wir ein Beispiel: Die Baubranche wird noch für ein paar Jahre darniederliegen. Sagen wir, einer ist 43, auf dem Bau schneller gealtert als wir beide auf unseren Stühlen, seine Firma meldet Konkurs an, seine Qualifikation wird nicht mehr gebraucht. Entweder gelingt es ihm, sich eine neue Qualifikation anzueignen. Wenn nicht, ist er gleichgestellt mit denen, die keine Qualifikation haben und muss sich nach Jobs umgucken, die dem Rechnung tragen. Es gäbe für die Älteren Arbeit, aber das setzt voraus, dass ihre Entlohnung im Verhältnis steht zu ihrem Marktwert.
Lassen Sie denn keinen anderen Zweck der Sozialleistungen gelten als den, die Leute möglichst schnell und möglichst reibungslos dem Arbeitsmarkt wieder zuzuführen?
Man muss sich als Staat die Frage gefallen lassen, wie viele Arbeitsmarktfriktionen man bereit ist, hinzunehmen. Entweder gibt es ein hohes Niveau an sozialer Sicherheit oder einen funktionierenden Arbeitsmarkt.
Gibt es Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Arbeitgebern?
Arbeitgeber haben Ausweichmöglichkeiten, die die Arbeitslosen nicht haben. Nehmen Sie die jetzt erfundene Maschine, die die Spargelernte rationalisiert, weil man für diese Arbeit keine Leute mehr findet. Menschliche Arbeitskraft stand immer in Konkurrenz zur Maschine, nur kann man diesen Prozess gemächlich angehen oder beschleunigen. Deutschland beschleunigt ihn.
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