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Suggestion, triefend

Musik, die sich ins Unbewusste schleicht, ist Hochverrat: Heute stellt die Lange Nacht der Filmmusik die manipulativen Soundtracks eines John Williams vor, aber auch die von Dimitri Schostakowitsch, Hanns Eisler und Morton Feldman

„Hochgebirge: Streichertremolo mit signalähnlichem Hornmotiv. Die Ranch, auf die der he-man das sophisticated girl entführt hat: Waldweben mit Flötenmelodie. Boot auf einem Fluß im Mondschein: English Waltz.“ Halb amüsiert, halb angewidert erstellten Theodor W. Adorno und Hanns Eisler 1944 eine Liste filmmusikalischer Klischees. Mit ihrem berühmten Buch „Komposition für den Film“ wollten sie nicht nur die Autonomie der Musik wahren. Sie wollten das junge Medium Film auch vor den Klauen der Kulturindustrie retten. Adorno und Eisler kamen bekanntlich zu spät; Hollywood war schon längst über das Medium hinweggerollt und hatte die Filmmusik gleich mitgeschluckt.

Heute hat Hollywood noch jede von Adorno und Eisler verworfene filmmusikalische Qualität zum Gesetz erhoben. Vor allem das fragwürdige Diktum, Filmmusik dürfe nicht zu hören sein, gilt heute als Erfolgsgarantie. Eine Musik, die die Bilder bis zur Selbstaufgabe verdoppelt und sich dabei klammheimlich ins Unbewusste schleicht, ist nicht jedoch nur medientheoretischer Hochverrat. Sie degradiert sich darin zum Werkzeug der manipulativen Suggestion. John Williams, der wohl schlimmste Mainstreamer, erklärt, „dass es beim Schreiben von Filmmusik besonders darauf ankommt, eine musikalische Atmosphäre zu schaffen“. Mit heroischer Siegesgewissheit hat Williams diesen Auftrag für Produktionen wie „Star Wars“, mit triefender Sentimentalität für Epen wie „E. T.“ über Soll erfüllt.

Wenn die „Lange Nacht der Filmmusik“ heute unter anderem auch Musik von John Williams vorstellt, möchte man zunächst protestieren. Wenn man aber auszählt, dass diese „Lange Nacht“ ganze 21 Veranstaltungen umfasst, dann ist man dankbar, dass man angesichts der Fülle des Programms auch auf den Schmu nicht verzichtet hat. Das eigentlich Interessante dieser „Langen Nacht“ aber sind die unaufgelösten Dualismen, die eine filmmusikalische Werkschau von diesem Umfang großzügig bereithält, sind die Werke von Komponisten, für die Filmmusik zu einem Problem wurde.

Beispiel 1: Für seine erste Stummfilmmusik rang Dimitri Schostakowitsch 1929 hartnäckig mit sinfonischen Gestaltungsprinzipien. Für den Pariser-Kommune-Film „Das neue Babylon“, der heute Abend mit Orchesterbegleitung zu sehen ist, webt er die Marseillaise – als Signet edler Revolutionäre – gegen den Cancan – als Zeichen bürgerlicher Dekandenz – zu Haupt- und Seitenthema, um dann allerdings auf wunderbare Weise an den Bildsequenzen zu scheitern.

Beispiel 2: Hanns Eisler hielt den suggestiven Rhythmen der bewegten Bilder stand. In der Musik zu einem Experimentalfilm über „Regen“ – bei Eisler: „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ – erkannte der Komponist eines seiner besten Werke. Tatsächlich lässt sich das „Regen“-Opus jenseits des Films durchaus als Zwölfton-Charaktervariation hören; sie sind eine, so der Komponist wörtlich, „Anatomie der Melancholie“ oder „vierzehn Arten, mit Anstand traurig zu sein“. Beispiel 3: Morton Feldman konnte die Genres offenbar leicht voneinander trennen. Für „Samoa“ komponierte er noch 1968 ein Stück Kitsch ersten Ranges. Mit der Musik zu zwei Dokumentarfilmen über Jackson Pollock und Willem de Kooning, die heute Abend zu sehen sind, zeigt sich Feldman geradezu zupackend, indem er Technik und Stil der Künstler musikalisch imitiert.

Des Weiteren stehen auf dem Programm: Improvisationen zu Stummfilmklassikern wie Fritz Langs „Metropolis“ oder „Un chien andalous“ von Salvadore Dalí und Luis Buñuel sowie neun der Filme von Mauricio Kagel. Kagel erklärte einmal, seine Filme seien seine Opern – auch das ist natürlich eine Art, sich als Komponist mit einem bedrohlich mächtigen Medium zu arrangieren. BJÖRN GOTTSTEIN

Heute ab 18 Uhr im Konzerthaus Berlin, Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, Mitte

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