Bitte Nase tiefer legen!

In Buchverkaufslokalen: Es lebe die Infamie, Ignoranz, Intoleranz, Impertinenz …

Es handele sich ja wohl um Humor, zuckerte die Dame. So etwas ginge bei ihnen nicht

Ich brauche die Buchläden existenziell. Trotzdem frage ich mich mitunter, ob man einige Verkaufslokale nicht schließen müsste, bis die Buchverkäufer sich wieder auf ihre Pflichten besinnen – zumindest jener großen süddeutschen Firma, deren Filiale ich vor einigen Tagen mit der festen Absicht betrat, ein beißend-ätzend-satirisches Werk zu erstehen.

Ich suchte den Autornamen vergeblich und beschloss endlich, die fachkundig wirkende Dame an der Dienstkonsole zu Rate zu ziehen. Angetan mit meiner gelben Motorradkluft und mit der dick behandschuhten Linken winkend, glaubte ich ihre Aufmerksamkeit mehr als verdient zu haben. Allein es rührte die Dame nicht und nichts an der Dame sich, von der ich annahm, sie sei zur Beratung angestellt und nicht zur Lektüre, der sie sich jedoch hartnäckig widmete.

So fand ich Gelegenheit, ihre Person zu mustern: Eher sehr klein von Gestalt, trug sie zum pferdegeschwänzten schwarzbraunen Haar einen Hosenanzug von dezenter Reithofeleganz und eine mitten durch den Horizont gesägte Oberlehrerbrille, die es ihr in aller Stummheit ermöglichte, Intoleranz, Infamie, Arroganz, Überheblichkeit, Anmaßung, Perfidie, Impertinenz, Bosheit, Ignoranz und indezente Unverfrorenheit auszustrahlen.

Ein Kollege Kunde schob vorbei, knallte seinen Lebenstraum in Buchform auf die Theke – „Mallorca“ –, wurde herzig belächelt und schob befriedigt ab. Nun kam auch ich ins eingeschränkte Blickfeld. Auf meine Frage: „Was haben Sie von …?“ erging ein säuerliches: „Welches Buch hätten Sie denn gern?“ Und mein Konter: „Kommt drauf an, was Sie vom genannten Autor dahaben!“ wurde beschieden mit der Entgegnung: „Ja, wie heißt denn der Autor?“ Ich buchstabierte ihr in die Konsole, und sie schrieb es prompt falsch, nicht ohne mich nach Richtigstellung zu bezichtigen, ich hätte falsch buchstabiert, was natürlich nicht stimmte. Fast verwundert schien sie, dass laut Gerät tatsächlich ein Autor dieses Namens lebt. Auch was er alles geschrieben hat, durfte ich aus ihrem Mund vernehmen. Ich fand Lessing vollauf bestätigt, der die Buchhändlerlehre einst damit erfüllt sah, „dass man fünf Jahre bey einem Manne Pakete zubinden gelernt, der auch nichts weiter kann als Pakete zubinden“.

Es handele sich ja wohl um Humor, zuckerte die Dame. Und so etwas ginge bei ihnen nicht, weshalb rein gar nichts, aber auch überhaupt nichts davon in ihrer Buchhandlung erhältlich sei. Gewiss würde ich nichts von diesem Autor bei ihnen finden, und auch sonst nichts Derartiges. „Humor spielt bei uns keine Rolle!“ Nach dieser Verlautbarung kehrte sie sich weg, nahm wieder ihr Lesebuch zur Hand und entließ mich in tiefster Ungnade, der ich von ihrem verbalen Gertenschlag getrieben abtrabte. Eine banale Lagerbestandsabfrage hatte sie nicht für nötig befunden, und der Gedanke, sie erneut zu Rate zu ziehen, erschien mir widerlich.

Ich musste also selbst suchen und entdeckte die kleine Rubrik „komische Literatur“ an entlegenstem Ort neben den Pferdebüchern. Selbstredend fand ich dort das von mir gesuchte hochbrisante Werk, was mich zu einer kleinen Heckenpredigt zwingt:

Friedrich Christoph Perthes, der heilige Michael des Buchhandels, stellte 1833 dauerhafte Regeln für die Zunft der Sortimenter auf. Er beschwor sie bei ihrer „Persönlichkeit“, „dass ihre Tätigkeit von größerer Einsicht, mehreren Kenntnissen und erweiterter Umsicht begleitet werde … Soll ein bessrer Zustand erlangt werden, so ist zu sorgen, dass die dem Buchhandel künftig beitretenden Glieder reines Strebens sind und ausgestattet mit ausgebreiteterem Wissen und höherer Bildung.“ Denn von ihnen, so Perthes, dependiere es, „dem Publikum das Gute der Literatur vorzugsweise beizubringen, indem der größere Teil der Bücher nach dem Vorschlage des Buchhändlers oder nach dem, was er zu Tage legt, gekauft wird. … Die Freiheit der Literatur erheischt, dass jede Schrift, die bestimmt gefordert wird und noch nicht bestimmt verboten ist, ohne Rücksicht auf eigne Meinung und Partei geliefert werde.“

Dies möge in den Buchhändlerschulen jedem Zögling als Nachtgebet aufgegeben werden. Mit etwas tiefer gelegter Nase könnte so mancher von ihnen später im harten Alltag auch einen dieser hundsgemeinen Bücherdiebe schnappen, die Ernst machen, wenn schon an gewissen Orten der Humor keine Rolle spielt. TOM WOLF