piwik no script img

Bessere Liebespaare

Chatbekanntschaften halten länger: Wer online flirten will, muss lernen, seine intimen Gefühle auszudrücken und dem Partner genauer zuzuhören

von MICHAEL LENZ

So glücklich sind die beiden, dass sie auch auf der Homepage von „FriendScout24.de“ darüber sprechen müssen. Die (anklickbare) Rubrik heißt „Erfolgsstories“. Im Sommer wollen sie zusammenziehen, Bernd und Sigi. Verliebt hatten sie sich im Chatraum für Flirts. Dann aber kam die Stunde der Wahrheit, und Sigi schreibt: „Die letzten Minuten standen wir beide fast vor einem Herzinfarkt. Wir hatten ja eine starke emotionale Beziehung aufgebaut, die jeden Moment wie eine Seifenblase hätte zerplatzen können.“

Doch der virtuelle Bernd überstand die Prüfung der analogen Welt. 31 Prozent der deutschen Internetuser suchen nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ihr Liebesglück online. Bernd und Sigi gar gehören zu jenen 14 Prozent, die auf diesem Weg den Traumpartner gefunden haben. Das Internet rangiert nach Arbeitsplatz und Party an dritter Stelle und vor Lokalen als beliebtestem Ort, erotische Kontakte anzuknüpfen.

Wie traditionelle Kontaktanzeigen stehen allerdings auch die Onlinechats als Jagdrevier in dem Ruf, ein Tummelplatz von bindungsunfähigen Lügnern und Betrügern zu sein, die aus gutem Grund das Licht von Kneipen und Discos scheuen. Eine Sichtweise, die bisher auch von Wissenschaftlern gestützt wurde. Internetkommunikation führe über den Verlust von sozialen Kontakten geradewegs in die Depression, glaubt zum Beispiel der Amerikaner Robert Kraut belegen zu können. Aber wahrscheinlich irrt er sich.

Dr. Jeff Gavin gehört zu der kleinen, aber stetig wachsenden Schar von Cyberpsychologen, die durch ihre Forschungen genau das Gegenteil beweisen. Im Internet begonnene Beziehungen seien „mindestens so haltbar, wenn nicht gar haltbarer als traditionell begonnene“, belegen Gavins Studien. Die Feldforschung des derzeit an der Universität im englischen Bath lehrenden australischen Wissenschaftlers hat einige Vorteile des Flirts mit der Maus nachgewiesen. In Chaträumen gehen Männer offener mit ihren Gefühlen um, während es Frauen leichter falle, über sexuelle Fantasien zu sprechen. „Frauen schätzen das sehr“, weiß der 33-jährige Forscher. „Männer starren im Chat nicht auf ihre Brüste. Sie hören den Frauen zu, beziehungsweise lesen genau das getippte Wort.“

Für die Amerikanerin Andrea Baker liegt das Erfolgsgeheimnis von Onlinepartnerschaften im Zeitfaktor. „Die Leute nehmen sich durch die Onlinekommunikation mehr Zeit, gegenseitig herauszufinden, ob sie wirklich miteinander zurechtkommen, bevor sie sich zum ersten Mal wirklich treffen“, schreibt die Soziologin an der Universität von Ohio. Diese Selbstreflexion erhöhe die Erfolgschancen.

Ihr Kollege Gavin ist fasziniert von der „relativen Offenheit“ der Chatter – ob er sich aus diesem Grund nicht selbst ans Keyboard setzt, hat er nicht gesagt. In seinen Offline-Interviews ergab sich: „Die Benutzer von Chaträumen vergrößern die Wahrheit um ein, zwei Größen oder verkleinern sie bei Bedarf. Aber die Mehrheit stellt sich relativ ehrlich dar, denn letztlich will man sich ja mit der neuen Bekanntschaft auch treffen.“

Eine 18-jährige Frau, die Gavin befragte, brachte es auf den Punkt: „Natürlich mache ich mich etwas attraktiver. Keiner geht einfach online und sagt: ‚Alle mal herhören: Ich bin klein, dick und ziemlich hässlich. Wer will mit mir chatten?‘ So läuft das nicht.“ Das sei eben wie im wirklichen Leben, hat Gavin erkannt. „Wer zum Beispiel in einen Nachtclub geht, putzt sich vorher heraus. Genau das passiert im Internet auch.“

Selbstverwirklichung

Für die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin Nicola Döring stellt das Internet ein „soziales Lernfeld“ dar. Im zunächst anonymen Chat können Menschen im Alltag oft verborgene Qualitäten ausspielen oder geheime Wünsche und Fantasien ausdrücken. „Diese kennen zu lernen und zu ihnen zu stehen, kann der eigenen Selbstentwicklung dienen“, betont die wissenschaftliche Assistentin an der TechnischenUniversität Ilmenau. Positive Chaterfahrungen können auch dazu führen, dass man außerhalb der Cyberwelt mutiger und offener auf andere Menschen zugehe. „Die virtuelle Identität“ fasst Döring eine Reihe von Studien zusammen, „ist keine Scheinidentität, sondern eine weitere Facette des realen Menschen.“

Verabredungen mit Netzliebschaften können aber auch ihre Tücken haben. Insbesondere schwule Männer sind, wenn das romantische Rendezvous in rasendem Sexrausch endet, wenig geneigt, mit Onlinebekanntschaften das Kondom zur Verhütung von sexuell übertragbaren Krankheiten ins Liebesspiel einzubeziehen. „Im Internet präsentiert man sich oft als jemand, der zu größeren Abenteuern bereit ist als in Wirklichkeit. Trifft man dann tatsächlich jemanden, bleibt man bei der einmal angenommenen Rolle und steht sie während der gesamten sexuellen Begegnung durch“, gibt der britische Professor Jonathan Elford von der Londoner City University als Grund für die größere Risikobereitschaft im Bett an. Offline und außerhalb des Bettes fällt es Männern jedoch schwer, den offenern Umgang mit Gefühlen durchzuhalten. „Die Kommunikation der Männer zeigt offline oft wieder stereotype Merkmale“, hat Gavin herausgefunden und ergänzt: „Deshalb benutzen gelegentlich Paare, die sich bereits persönlich getroffen haben, weiterhin Chaträume als ein Mittel ihrer Kommunikation.“

Die analoge Welt ist so unromantisch. Eine 21-jährige Frau aus Gavins Befragungen sagte: „Manchmal vermissen wir beide den Onlinechat. Dann gehen wir ins Internet, um uns zu unterhalten. Ich glaube, wir machen das einfach, um die Gefühle wieder wachzurufen, die wir hatten, als wir uns kennen lernten.“

Die Minnesänger des Hochmittelalters wussten am besten, dass die Realität der Liebe der Einbildung stets unterlegen ist. Wer trotz allem auf die erste Begegnung in Fleisch und Blut nicht verzichten will, den lässt das Netz dennoch nicht im Stich. Tipps für das sorglose Rendezvous mit Internetflirts bieten Homepages wie die englische www.saferdating.com oder die deutsche www.blinddate-security.com. Die prosaische Grundregel lautet: „Unliebsamen Überraschungen kann vorgebeugt werden durch die Beachtung einiger Sicherheitsregeln.“ Aber auch Internetflirt-Dienste selbst sind um das Wohl ihrer Mitglieder besorgt. Die Ratschläge bei FriendScout24.de zum Beispiel reichen von der Warnung, in keinem Fall Passwörter weiterzugeben, bis hin zu Ratschlägen für den geeigneten Treffpunkt: „Wählen Sie gut besuchte Restaurants“ – denn vielleicht sitzt das wahre Objekt der Frühlingsträume ja am Nebentisch …

ozlenz@yahoo.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen