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philipp von maußhardt über klatsch Sehnsucht nach der Schützenburg

Mancher zahlt viel Geld für sein „von“. Warum nicht? Ich habe Respekt vor Menschen, denen nichts peinlich ist

Sonntags, vor der Ruine der Schützenburg zwischen Dapfen und Buttenhausen, versprach unser Vater immer, dass wir Raubritter werden würden. Er stünde bereits in Kaufverhandlungen mit dem Bürgermeister von Dapfen, dann müssten nur noch die Mauern ausgebessert und eine neue Zugbrücke angebracht werden. Irgendwie schienen sich die Kaufverhandlungen aber in die Länge zu ziehen. Jedenfalls blieben wir in unserem Reutlinger Vorortgettho wohnen, und aus der Ritterkarriere ist nie etwas geworden.

Wahrscheinlich hängt es ja an diesem falschen Versprechen von damals, dass mir der Land- wie der Hochadel bis heute grundsätzlich sympathisch geblieben sind. Es braucht nur jemand „von“ zu sagen, da leuchtet vor meinem inneren Auge die Schützenburg mit der hölzernen Zugbrücke auf, und ich bin gut gelaunt.

Eine Zeit lang hatte ich die Vorstellung, ich fände eine Freifrau und käme auf diese Weise an den ersehnten Titel. Ich hätte jede, auch völlig verarmten Ostadel, genommen. Aber die Mädchen, die mir begegneten, hießen Gaby oder Karen und kamen allenfalls „von“ Betzingen oder Böblingen. Immerhin zählen inzwischen ein Baron und ein veritabler Graf zu meinen Freunden, beides hart erarbeitete Beziehungen, und auch wenn der eine politisch am äußeren rechten Rand der CSU steht und der andere von Beruf nur Schreiner ist, nie würde ich diese Freundschaft aufgeben. Sie steht stellvertretend für meine Sehnsucht nach der Schützenburg.

Wer selbst gerne so hochwohlgeboren worden wäre, tut sich verständlicherweise schwer in der Rolle des Untertans. Ernst August von Hannover lässt sich ja tatsächlich noch als „königliche Hoheit“ anreden. Und einmal, als mich eine Redaktion zu Fürstin Gloria von Thurn und Taxis schickte, da brachte ich es einfach nicht über die Lippen, „Hoheit“ oder „Durchlaucht“ zu ihr zu sagen. Sie saß mir am Genfer See auf einer Bierbank gegenüber und trank Dosenbier aus einem Pappbecher. Ich glaube, sie genoss meinen Eiertanz wie ich mit „äh, Frau von Thurn, äh, Fürstin Gloria“ um Worte rang.

Völlig irritierte mich allerdings Glorias Bruder. Der stellte sich als Alexander Schönburg vor, und dabei wusste ich doch genau, dass er „Graf von Schönburg“ heißt. Adel verzichtet. So einer ist das. Unter seinem Kürzel „avs“ findet man übrigens jede Woche wunderbaren Klatsch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das ist bei Schönburg, „von Schönburg, bitte!“, nicht anders als bei der Bunte-Klastschkolumnistin Marie Waldburg, „Gräfin von Waldburg, bitte!“, wo Gastgeber oft nicht wissen, ob man sie bei Einladungen ans journalistische Katzentischchen oder zu den Herrschaften setzen soll.

Hier ist die Gelegenheit, auf meinen Lieblingskönig, Wilhelm II. von Württemberg, wieder einmal hinzuweisen. Bei seinen Spaziergängen durch den öffentlichen Schlossgarten ließ er sich von seinen schwäbischen Untertanen als „Herr König“ anreden.

Und trotzdem: Wann immer sich mir ein fremder Gesprächspartner am Tisch vorstellt und seine Adelsherkunft verrät, wende ich mich abrupt von allen anderen ab und sauge an seinen oder ihren Lippen, will wissen, wie alt das Geschlecht, ob es im „Gotha“ verzeichnet und ob ein Stammschloss vorhanden ist. Grundsätzlich bin ich bereit, mich adoptieren zu lassen. Doch dann fällt mir immer wieder dieser Ramsch- und Antiquitätenhändler aus der Münchner Theatinerstraße ein, der als Franz Huber in Wien auf die Welt kam (seine Mutter war ein bekanntes Marktweib), und der sich heute in seinem Plunder- und Kitschladen als „Durchlaucht“ anreden lässt. Er hat vor einigen Jahren viel Geld dafür bezahlt, dass ihn eine Prinzessin von Sachsen-Coburg adoptierte. Andererseits habe ich großen Respekt vor Menschen, denen nichts peinlich ist.

Überhaupt ist München wahrscheinlich die Hauptstadt der falschen Titel. Konsul Weyer, Altmeister der Titelhändler, hat es hier in den Siebzigerjahren zu viel gebracht. Erst vor wenigen Wochen stieß ich übrigens wieder an der Isar auf einen honorigen älteren Mann mit ungarischem Oberlippenbärtchen, der sich den schönen Namen Reichsedler von Treutz zu Moers gegeben hatte und bis in die Chefetagen des bayerischen Wirtschaftsministeriums freien Zugang hatte. Eigentlich heißt er Gerhard Treutlein und sein Vater war Kripobeamter in Augsburg. Ein wenig ist es ja gemein, so einen Menschen zu outen, nur weil man es selbst nicht geschafft hat. Und ich schäme mich jetzt auch ein wenig. Denn vielleicht hatte der arme Treutlein ja auch nur einen Papa, der ihm die Schützenburg versprochen hatte.

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