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Die Zeichen der Revolte

Auf beiden Seiten der Barrikade: Im vergangenen Jahr zeigte sich die Popkultur politisch so aufgeladen wie lange nicht mehr

von DANIEL BAX

Auch wenn es das kritische Bewusstsein schmerzt: Die meisten Menschen interessieren sich nicht sonderlich für Politik, solange sie nicht groß in ihren eigenen Alltag hineinspielt. Jenen etwa, die noch in der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind, stellte Florian Illies mit seinem Buch „Generation Golf“ ein etwas zwiespältiges Zeugnis aus: Folgt man ihm, dann haben Geschmacksfragen – das Für und Wider von Barbourjacken etwa – in der Sozialisation der heute Um-die-Dreißigjährigen eine weit größere Rolle gespielt als politische Überzeugungen. Heute bestimmen ästhetische Erwägungen, wo Systemfragen nur noch beim Computerkauf relevant sind, in weit größerem Maße das politische Handeln als einst: Ob sich Guido Westerwelle mit seinem Auftritt im „Big Brother“-Container da einen Gefallen getan hat, wird die Geschichte entscheiden.

Wenn aber Geschmacksfragen so großes Gewicht zukommt, dann lohnt es sich, auf die kleinen Unterschiede und die Metamorphosen der Moden zu achten, wie es einst der Soziologe Pierre Bourdieu vorgemacht hat. Denn das verspricht Aufschlüsse über gesellschaftliche Entwicklungen, deren Feinheiten politischen Analysen gerne entgehen.

Popmusik ist ein verlässlicher Seismograf für gesellschaftliche Stimmungslagen – aussagekräftiger als Wahlergebnisse, die oft stark vom Moment und von einer Vielzahl gegenläufiger Faktoren geprägt sind. So deutet der erstaunliche Erfolg der ehemaligen Skin-Band Die Böhsen Onkelz, die mit ihrer diffusen „Wut auf die Welt“ die Befindlichkeit vieler Modernisierungsverlierer treffen, durchaus auf das Potenzial für rechte Parteien hierzulande, mit Ressentiments Politik zu machen. Andererseits spiegelt die Beharrlichkeit, mit der es sich der Betroffenheitsrock der Achtzigerjahre, von BAP bis Maffay, in der deutschen Musiklandschaft bequem gemacht hat, auch einen breiten, wenn auch etwas behäbigen Konsens. Dagegen zog sich die Jugendkultur, der Überfrachtung von Musik durch Botschaften und Bekenntnisse müde, in den Neunzigern in Clubs und elektronische Welten zurück.

Zuletzt scheint da allerdings etwas in Bewegung geraten, denn die deutsche Pop-Szenerie zeigte sich im vergangenen Jahr so engagiert wie schon seit 20 Jahren nicht mehr. Auf den viel beachteten Alben von Jan Delay und Blumfeld feierte eine fast vergessene Fundamentalkritik ihre Rückkehr in den Popsong, und mit dem HipHop-Bündnis „Brothers Keepers“ brachte die erste Riege der afrodeutschen Rapper das Thema Rassismus aufs Tapet. Außerdem deutet die Wiederentdeckung des Reggae als Protestmusik auf einen nachhaltigen Trend zur großen Verweigerung hin.

Allerdings ist der Gestus der Rebellion schon in den Gencode der Popkultur eingeschrieben, und jeder entsprechene Impuls wird bekanntlich schnell von der Unterhaltungsindustrie absorbiert, die sich gerne mit jugendlichem Lebensgefühl schmückt, um ihre Produkte zu verkaufen. „Radikalisiert das Leben“, lautete das Motto, mit dem der Musiksender Viva in einer Anzeigenserie für sich warb: Sie zeigte dessen Moderatorin Charlotte Roche, die mit Piercings und unkonventionellem Auftreten Viva als aktuelle Vorzeigefrau dient, vor einer Wand, darauf als Graffito das Logo des Senders gesprüht. Wo da die Ironie aufhört und die Vereinnahmung anfängt, ist schwer zu sagen.

Pop ist schließlich, ganz profan, ein Wirtschaftsgut und hilft, ganz praktisch, das Bruttosozialprodukt zu steigern, wie die Gruppe Geier Sturzflug einst ironisch postulierte. Dafür lassen sich sogar die aufrührerischen Slogans von einst reibungslos vereinnahmen – so, wenn die Firma Apple den Beatles-Song „Revolution“ in ihren Reklamespots einsetzt. Pop verleiht der neoliberalen Globalisierung Glamour, wie die Aktivistin Naomi Klein in ihrem Bestseller „No Logo“ bedauerte, und dient als Standortfaktor sogar der nationalen Selbstdarstellung im Ausland: Der Export der Love Parade, mit Hilfe der Goethe-Institute, nach Mexiko und anderswo, dient nicht zuletzt dem Ansehen des Markenzeichens „Made in Germany“.

Oder der nationalen Selbstvergewisserung im Inland wie nach dem 11. September, als in den USA fast die gesamte Popprominenz zum „Tribute to Heroes“ antrat, darunter auch manche Ikone der einstigen Gegenkultur: Paul McCartney, Neil Young und David Bowie vollzogen damit den Schulterschluss nicht nur mit den Feuerwehrleuten und Polizisten von New York, sondern implizit auch mit der Bush-Administration: Der Grat zwischen der Identifikation mit Stars and Stripes als Zeichen US-amerikanischer Popkultur, oder als Symbol amerikanischer Außenpolitik, er kann sehr schmal sein.

Stellt sich die Frage, wie linke Politik in diesem Zusammenhang überhaupt aussehen soll. Was bringt die klassische Verweigerungshaltung eines Jan Delay, der „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“ näselt? Ist nicht die Eroberung des Mainstreams erst notwendige Voraussetzung, um bestimmte Inhalte zu vermitteln, wie das Brothers-Keepers-Projekt gezeigt hat, will man mehr als nur jene erreichen, die man ohnehin auf seiner Seite weiß? Stilfragen sind da Machtfragen. Denn da irrte Gil Scott-Heron, als er annahm: The revolution will not be televised. Es muss schon telegen sein.

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