: Pendler auf die Rutsche
Noch immer reisen 900 Bundesbedienstete zwischen Bonn und Berlin hin und her. Das ist teuer und umständlich. Nun fordert die CDU, das Verteidigungsministerium ganz nach Berlin zu verlegen
von JÖRN KABISCH
Der Pendelverkehr gehört für die Berliner noch immer zum leidigen Alltag. Erst am Sonntag wieder waren sie auf der Linie U 1 zwischen Gleisdreieck und Kottbusser Tor auf Busse angewiesen. Eine andere Klasse von Pendlern dagegen scheint sich inzwischen mit der Situation, ständig hin- und herreisen zu müssen, angefreundet zu haben. Die Rede ist von jenen beamteten Jet-Settern, die auch drei Jahre nach dem Regierungsumzug noch immer zwischen Rhein und Spree pendeln. Etwa 900 sind es derzeit nach einem Bericht der Bild am Sonntag, und damit hat sich ihre Zahl in den vergangenen zwei Jahren kaum nennenswert verändert. Denn schon im November 2000 – ein Jahr nach dem Regierungsumzug nach Berlin – hatte sich die Zahl auf die Tausender-Grenze reduziert.
Das mag vor allem daran liegen, dass seitdem auch kein Ministerium mehr nach Berlin umgezogen ist. Sechs Ressorts, darunter das Umwelt-, das Landwirtschafts- und das Bildungsministerium haben zwar repräsentative Filialen an der Spree, ihren Hauptsitz aber durch das so genannte Bonn/Berlin-Gesetz weiterhin am Rhein. Pendeln muss hier eben manchmal sein. Was aber den Jet-Set an den Rhein attraktiv macht, hat nun der Bund der Steuerzahler (BdSt) errechnet. Durch Reisekostenzuschüsse können die Wochenendheimfahrer sich im Jahr 10.225 Euro dazuverdienen. Wer in Berlin arbeitet, aber seinen Hauptwohnsitz im Rheinland behalten hat, darf zudem 510 Euro als Mietzuschuss für seine Hauptstadt-Bleibe beanspruchen. 14 Millionen Euro kostet das laut BdSt den Fiskus insgesamt. Und auch Missbrauchsfälle wollen die Steuerzahler-Lobbyisten entdeckt haben. So habe ein Referatsleiter der Bundestagsverwaltung sein Haus in Bonn vermietet, beziehe aber dennoch Mietzuschuss und Trennungsgeld. Hans Hotter, Sprecher des Bundestags, erklärte, es handle sich nur um „vereinzelte“ schwarze Schafe, die erschlichenen Gelder seien zurückgezahlt worden. Ein Disziplinarverfahren sei noch nicht abgeschlossen, ein Verfahren gegen eine Angestellte „durch Prüfung geklärt worden“. Der Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler, Dieter Lau, fordert ein energischeres Vorgehen. Das sei kein Kavaliersdelikt mehr. Unterdessen macht das brisante Wort vom „Rutschbahneffekt Berlin“ wieder die Runde unter den Berliner Bundestagsabgeordneten, vor allem in der CDU. Es meint den vollständigen Umzug der Bundesverwaltung nach Berlin, der unlängst auch von Bundesbauminister Johannes Bodewig (SPD) nicht mehr ausgeschlossen wurde.
Während Unions-Haushaltsexperte Dietrich Austermann ganz offen „eine kritische Bilanz der bisherigen Umzugs- und Pendlerregelungen“ fordert, berichtet der Deutsche Depeschendienst, dass der frühere CDU-Hausherr auf der Bonner Hardthöhe, Volker Rühe, parteiintern ein Thesenpapier für das Bundestagswahlprogramm erarbeitet, in dem es heißt: „Das Bundesverteidigungsministerium ist insgesamt nach Berlin zu verlegen.“
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