: Der Gerd ist toll
Zwei Biografen huldigen distanzlos dem Medienkanzler, ohne seine Karriere erklären zu können. Das ist nicht nur brav, sondern langweilig
von JENS KÖNIG
So viel kann man schon am Anfang mit Gewissheit sagen: Wenn man nach dem Lesen von zwei Gerhard-Schröder-Biografien den dringenden Wunsch verspürt, jetzt soll doch endlich mal Edmund Stoiber als Kanzler ran, dann ist mit den Büchern irgendetwas schief gelaufen.
Nun ist Stoiber nicht gerade der Mann für unerfüllte Sehnsüchte. Aber ihn als Kanzler zu sehen – das wäre immerhin die erstbeste Gelegenheit, um herauszubekommen, ob dieses hohe politische Amt zwangsläufig zur Folge hat, dass über denjenigen, der diesen Amt gerade ausübt, lobhudelnde und langweilige Biografien geschrieben werden müssen. Bei Gerhard Schröder scheint es so zu sein. Nun ist er für die Bücher von Jürgen Hogrefe und Reinhard Urschel natürlich nicht verantwortlich zu machen. Andererseits führt sein offener, manchmal hemdsärmeliger Umgang mit den Medien offensichtlich dazu, dass sich Journalisten, die Schröder lange und gut kennen, als seine Kumpels fühlen. Das betrachten sie dann als ausreichende Qualifikation fürs Schreiben einer Biografie.
Was soll man von einem Buch halten, dessen zweiter Satz lautet: „1984 bin ich Gerhard Schröder das erste Mal begegnet“? Für so viel Angeberei ist jede Strafe gerecht, auch die, dass auf dem Schutzumschlag des Buches steht, der Autor Jürgen Hogrefe kenne Schröder seit 1980. Zum Glück ist weder das eine noch das andere Datum irgendwie wichtig.
Hogrefe ist Redakteur im Berliner Büro des Spiegels, da darf man erwarten, dass sein Buch eine Idee hat, und die hat es auch. Er wollte weder Gerhard Schröders Lebensgeschichte noch eine Chronik seiner politischen Laufbahn schreiben, sondern das Porträt eines Politikers, der sich wie kein anderer zu inszenieren weiß, der gleichzeitig aber das, was er inszeniert, auch wirklich darstellt. Bei Schröder sind Politik, Persönlichkeit und Privatleben nicht mehr auseinander zu halten, alles ist Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Hogrefe ist nicht der Typ, der das kulturpessimistisch beklagt. Er nimmt es als gegeben hin, dass die Menschen heute im Privaten nach politischen Antworten suchen und dass die Politiker versuchen, mit diesem rasanten Bewusstseinswandel Schritt zu halten. Dahinter steckt vielleicht auch die Einsicht eines Betroffenen, dass Minister heute nicht mehr über knallharte Recherchen des Spiegels stürzen, sondern eher über fröhliche Badefotos in der Bunten.
Das ist aber noch lange kein Grund dafür, dass ein Spiegel-Mann vor lauter Verzweiflung gleich selbst ein grandioses Beispiel für gefühligen People-Journalismus abliefern muss. Hogrefe weiß viel über Schröder – welche Zeitungen er jeden Morgen liest, wer seine Reden schreibt, wie viel Geld er durch seine Scheidung von Hillu verloren hat. Aber Hogrefe weiß nicht, warum er das weiß. Er kann mit seinem Wissen nichts anfangen. Wie der Kanzler regiert, wer ihn berät, was ihn antreibt – das beschreibt der Autor genau, aber ohne Distanz, ohne Ironie, ohne Reflexion der Gefahren, denen Schröder mit seiner Politik in einer Mediendemokratie ausgesetzt ist. Ausnahmen bilden lediglich die Passagen über den immer größer werdenden Einfluss von Doris Schröder-Köpf auf den Alltag ihres Mannes und das Kapitel über Außenpolitik. Hier findet sich auch die interessanteste These des Buches: „Es scheint, dass Gerhard Schröder der Kanzler des Übergangs ist“, schreibt Hogrefe. Darüber hätte man gern mehr gelesen – doch genau an dieser Stelle ist Schluss.
Das Buch liest sich größtenteils wie eine Festschrift zum 100-jährigen Firmenjubiläum der rot-grünen Regierung. Auftraggeber: das Kanzleramt. Tenor: Gerd, unser Chef, ist ein Supertyp. „Der Mann legt ein Tempo vor, als wolle er das Internet überholen“, schreibt Hogrefe. „Gerhard rennt, und das mit 57.“ Holla, holla!
Man nimmt ja noch kopfschüttelnd hin, dass Hogrefe auf über zweihundert Seiten kaum ein kritisches Wort über den Kanzler verliert. Aber einigermaßen sprachlos steht man vor der Tatsache, dass ein so gestandener Journalist Schröder allein dafür bewundern kann, wie er, das Schmuddelkind aus kleinen Verhältnissen, es bis zum Bundeskanzler gebracht hat. „Ein deutsches Nachkriegsmärchen“ nennt Hogrefe Schröders Karriere und beklagt, dass bis heute niemand „das Loblied auf die klassenlose Bundesrepublik“ gesungen hat.
Bei der Vorstellung seines Buches hat Hogrefe erzählt, dass er schon immer neugierig gewesen sei. Als kleiner Junge hätte er im Hotel seiner Eltern staunend hinter die Kulissen des Betriebs geschaut und fasziniert die Gäste beobachtet. Genauso ergriffen muss Hogrefe jetzt durchs Kanzleramt gelaufen sein. Dieser Druck, der auf Schröder lastet! Dieses Arbeitspensum! Diese Einsamkeit! Und das alles für so wenig Geld! Das Schreiben von Schröders langweiliger Rede auf dem Nürnberger Parteitag 2001 bezeichnet Hogrefe als „ein hartes Stück Arbeit für alle Beteiligten“. Da möchte man wirklich gerne mitheulen.
Das Buch von Reinhard Urschel ist noch dicker als das von Hogrefe – und dafür völlig ideenlos. Urschel ist seit fast fünfzehn Jahren Hauptstadtkorrespondent der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und kennt Gerhard Schröder persönlich sehr gut, was auch er gleich auf der ersten Seite seines Buches ausposaunt. Urschel wird sich gedacht haben, ein paar Bierchen mit Gerd bilden die beste Voraussetzung dafür, um in einer 400-Seiten-Biografie all das über Schröder zu schreiben, was ohnehin jeder weiß.
Das Buch wirkt dann auch wie die gebundene Ausgabe aller Artikel, die seit 1980 in der Hannoverschen Allgemeinen über ihren Local Hero erschienen sind. Dazu gehören auch ein paar interessante, nicht ganz so bekannte Anekdoten über Gerhard Schröder aus der Niedersachsen-Zeit. Der Ton des Buches ist unaufgeregt. Manchmal jedoch lässt Urschel seiner Kumpelhaftigkeit freien Lauf, da nennt er Schröder schon mal liebevoll „Gerd“.
Die Biografie ist ein bisschen so wie Gerds Heimatstadt Hannover: sachlich, brav, ohne große Ausreißer nach oben oder unten, garantiert ironiefrei und langweilig. Urschel erzählt Schröders Leben chronologisch. Sein Ehrgeiz besteht ganz offensichtlich darin, nicht ein einziges der vielen unbedeutenden Ereignisse aus dem Innenleben der SPD zwischen 1985 und 2002 auszulassen. Die Pointe dabei ist immer die gleiche: Schröder, aus kleinen Verhältnissen, kämpft sich nach oben, und als er oben ist, kämpft er weiter – gegen Rau, gegen Scharping, gegen Lafontaine. Urschel kennt jeden Termin, jedes Datum, er weiß genau, wer was wann warum zu wem gesagt hat. Er war immer dabei. Genau das ist aber Problem. Urschel hat keine Fragen mehr.
Gerhard Schröder ist ihm unterwegs irgendwann abhanden gekommen.
Jürgen Hogrefe: „Gerhard Schröder. Ein Porträt“, 226 Seiten, Siedler Verlag, Berlin 2002, 19,90 €ĽReinhard Urschel: „Gerhard Schröder. Eine Biografie“, 400 Seiten, DVA, München 2002, 22 €
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