: Krimiautoren und Brotjobs
■ „H.P. Karr“ saß auf dem blutroten Sofa der Krimibibliothek
Nein, mit der „spezifischen Gewaltfrage“, wie sie gerade jetzt wieder überall gestellt wird, haben deutsche Krimiautoren kaum etwas zu tun, den sie „betreiben derartige Darstellungen von Gewalt nicht“. Es dauerte auch eine ganze Weile, bis die Frage danach überhaupt aus dem Publikum kam, und der Essener Krimiautor Reinhard Jahn beantwortete sie bei seiner Lesung am Dienstagabend in der Stadtbibliothek Neustadt wie alle: sehr eloquent und kenntnisreich. In Deutschland gebe es keinen Autoren, der über „Serienkiller wie Hanibal Lecter“ schreiben würde, hier seien zwei Schulen vorherschend: die der Krimis à la Agatha Christie und die gesellschaftskritische. Er selber macht wohl beides, wenn auch ersteres eher gezwungenermaßen: Um vom Schreiben leben zu können, hat Jahn zuerst 1.000 Kurzkrimis in Illustrierten und dann 559 Ratekrimis für Kinder geschrieben. Das war die Lösung des verzwicktesten Rätsels des Abend, nämlich der Frage, wie ein Krimiautor in Deutschland vom Mord leben kann.
Moderator und Kollege Jürgen Alberts hatte mit seinen Fragen den Gast schon bald auf diesen schweren Fall hingelenkt, und Jahn erzählte genau und ohne falsche Scham davon, dass das Geld zum großen Teil von solchen eher trivialen „Brotjobs“ kommt. Diese „serielle Literatur“ ist reines Handwerk, und er beherrscht dieses „Plichtprogramm“ offensichtlich. Aber bekannt und geehrt (1996 mit dem deutschen Krimi-Oscar „Glauser“) wurde er für die „Kür“, und das sind vor allen die Krimis, die er als H.P. Karr zusammen mit Walter Wehner über die Abenteuer des „freien Videokameramanns Gonzo“ schreibt. Im Team sei er derjenige, der „gerne brutale Szenen und Obduktionen“ beschreibe, der Kollege sei als „Lyriker“ auf starke Bilder und Leitmotive“ abonniert. Gegenseitig würden sie sich jeweils die Exzesse wieder aus dem Manuskripten (oder besser Disketten) herauskürzen, so dass ein eigener Ton der Krimis entstehe, den keiner von ihnen alleine treffen könne. Lahn erzählte viele solche Details aus der Werkstatt des Krimischreibers. Und das Publikum, etwa 20 treue Freunde der Mordgeschichten, hörte auch interessiert zu. Dannach las der Autor noch eine Geschichte vor, bei der leider nur ganz am Schluss ein wenig gemordet wurde. Angesichts der realen, irrationalen Gewalt aber auch irgendwie tröstlich, diese ordentlichen, durchdachten kriminellen Handlungen. So war es ein gemütlicher, wenn auch etwas dröger Abend. Wilfried Hippen
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