: Schauerlich schöne Landschaften
Das Bilderlesebuch „Im Garten versammelt die Sonne“ mixt inhaltsleere Naturpanoramen mit ambitionierten Texten ostdeutscher Autoren
Schöne Aussichten sind das: Wattewolken über mecklenburgischen Wiesen, das Rhinluch im Schilf, eine Storchenfamilie auf dem Scheunendach. Durch die Linse gesehen eignen sich die Landschaften zwischen Rügen und Erzgebirge für die Fototapete hinter der Couchgarnitur, vorausgesetzt, die Sonne scheint. Das mag sich der Herausgeber des Bilderlesebuches „Im Garten versammelt die Sonne. Landschaftsbilder zwischen Rügen und Erzgebirge“ aus dem Aufbau-Verlag auch gedacht haben, als er das Projekt in Angriff nahm. Gedichte und Texte von Gerhart Hauptmann über Fritz Reuter bis Sarah Kirsch und Christa Wolf werden mit romantisch verklärter Landschaftsfotografie in Szene gesetzt. Thema ist immer die Auseinandersetzung mit Land und Leuten auf dem Land. So ist eine Art Heimatbuch des Ostens entstanden.
Doch wer nun denkt, dass hier ein Stück oberflächliche Folklore zum Zug gekommen sei, irrt. Zu verdanken ist dies den Texten, die den schonungslos schönen Bildern eckige Gedanken entgegensetzen. „Er sah durchs Gestrüpp auf den See und sah stumpfgraues Wasser, das träge wellte; Abfall und Scherben, schleimiger Schaum in austrocknenden Flocken …“, schreibt etwa Franz Fühmann in „Märkischer Wald“, das in dem Bildband zum Thema Binnenseen und Endmoränen zitiert wird.
Auch Sarah Kirsch lobpreist die Einsamkeit der Felder nicht. „Ich rauche im Regen traf tagelang keinen Menschen, nur ein Alter sah übern Zaun hatte Zeitung gelesen, Wenns losgeht sagte er habe er einen eigenen Brunnen.“ Dazwischen Texte, die die Mühsal der Bauern beschreiben oder auch nur ganz harmlos das Engagement eines Seeadlerpärchens für ihr neues Brutgeschäft. So ist auch manche Liebeserklärung dabei, wie etwa Tucholskys Zeilen über einen See.
Immer wieder jedoch stolpert die Leserin über den Trugschluss von der Idylle auf dem Land. „Ich aber erinnere mich keiner Stunde, und auch die Kindheit in Dörfern und Bächen verbracht, wird zur Lüge“, meint Uwe Grüning dazu in seinem Gedicht „Luftspiegelung“. So outen sich die Fotos letztendlich als Fassade, hinter der sich so manches Leid versteckt.
Am Ende der Lektüre meint man gerade einem Super-GAU auf die Spur gekommen zu sein. Die Menschheit ausgerottet, eingegangen an der ihr eigenen Ohnmacht und Grausamkeit. Übrig bleiben die Bilder – schöne Landschaften, unheimlich menschenleer. CHRISTINE BERGER
„Im Garten versammelt die Sonne. Landschaftsbilder zwischen Rügen und Erzgebirge“. Hrsg. Peter Jacobs, Aufbau-Verlag Berlin 2002, 20 €
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