: Guten Morgen, Vaterland
Das Verhältnis von Hugo Chávez zu den Medien ist mies. Doch der venezuelanische Präsident ist selber Medium und nutzt die Verbreitung des Radios für eine eigene Propagandasendung
aus Buenos Aires INGO MALCHER
Ein Mann redet ohne Luft zu holen, er redet ohne Punkt und Komma, er redet mit nervender Stimme, die fast bewusstlos macht. Die Kraft seiner Sprache erstickt jeden Widerspruch, schnell wie ein Wirbelsturm kann er reden, er spricht nicht, er schleudert die Worte über seine Lippen. Manchmal knistert der Lautsprecher unangenehm, weil von der Stimmgewalt des Sprechers so viele Dezibel durch das Mikrofon gejagt werden, dass alle Zeiger in den roten Bereich huschen.
Die Frequenz ist auf Radio Nacional de Venezuela eingestellt, es ist Sonntagmorgen kurz nach neun und hinter dem Mikrofon sitzt Hugo Chávez (47), Venezuelas Präsident. Das Programm: „Aló, Presidente“ – Hallo, Präsident. Chávez war 1998 mit Hilfe der Medien, die seinen Wahlkampf massiv unterstützten an die Macht gekommen. Doch erst einmal installiert, übten sie auch Kritik an dem Präsidenten – sehr zu seinem Unwillen. Zwar gab es keine offizielle Zensur, doch Chávez schaffte es auch so, alle privaten Fernsehsender und Tageszeitungen gegen sich aufzubringen.
Am 11. April eskalierte die Situation, hunderttausende zogen protestierend durch die Straßen und der Unternehmer Pedro Carmona ernannte sich selbst zum Präsidenten – bis zum 14. April, als Chávez auf wundersame Weise ins Amt zurückkehrte. Dazwischen gab es mehrere gewalttätige Attacken gegen Journalisten, Kameraleute und Fotografen – ein Fotograf wurde am 11. April erschossen. Fernsehsender und Zeitungen verzichteten danach auf die Berichterstattung über die Ereignisse. Werbung für sich muss der Präsident aber schon seit langem selbst machen.
Vom ersten Tag an hat Chávez auf das Radio als Medium gesetzt, um in direktem Kontakt zum Volk zu stehen. Eine kluge Strategie. Das Radio ist in Venezuela, wo ein Fernseher Luxus ist, das am meisten verbreitete Medium. Selbst in den kleinsten Ortschaften im Urwald des Landes funkt eine lokale Radiostation. Es laufen Merengue-Rhythmen und Nachrichten, es gibt Witze und Sportberichte und unzählige Talkshows. Schon immer setzten aber auch lateinamerikanische Populisten das Radio als Propagandawaffe ein.
Evita und Juan Domingo Perón hatten 1944 in Argentinien damit angefangen und saßen jeden Morgen bei ihrer Sendung „Für eine bessere Zukunft“ im Studio. Auch der neue argentinische Präsident Eduardo Duhalde ist auf den Geschmack gekommen und peitscht einmal die Woche seine peronistischen Durchhalteparolen durch den Äther. Aber das Phänomen ist kein rein lateinamerikanisches: George W. Bush sitzt ebenfalls jeden Samstag hinter den Reglern. Er klingt nur etwas gesetzter als der aufgekratzte Chávez.
Punkt neun Uhr klingt es aus dem Lautsprecher: „Epa! Aber wie gut, wie geht es euch? Guten Morgen, Venezuela, guten Morgen, mein Vaterland, guten Morgen, herrliches Vaterland!“, ruft Chávez. Es gibt keine Verschnaufpause, gleich geht es weiter. „Wir sind heute in La Vega, schon lange hatten wir vor nach La Vega zu kommen, endlich haben wir es geschafft, endlich sage ich nur, wir senden heute aus der Volksschule, und daher begrüßen wir zuerst all die Menschen die draußen stehen und nicht hineinkommen konnten“, sprudelt es aus Chávez heraus. So geht es zehn Minuten am Stück, ehe er abrupt das Thema wechselt. Er erzählt von sich. Wie gerne würde er jetzt am Strand Playa Medina spazieren, sagt er, wie gerne auf der Tribüne bei einem Baseball-Match der Cocodrilos sitzen oder durch die Altstadt von Valencia flanieren. Ach, wie groß ist Venezuela. Aber der Mann hat keine Zeit. Es gibt Wichtigeres. Heute Nachmittag trifft er sich mit dem Gesundheitsminister, dann geht es zur Einweihung einer Schule und morgen muss er zur Hauptversammlung der nationalen Ölgesellschaft. Ein Präsident hat es nicht leicht.
Die Dramaturgie seiner Sendung ist denkbar simpel. Manchmal sendet Chávez aus dem Ü-Wagen, meistens vom Studio in Caracas. Es gibt keine Musik, keine Werbepausen, keine Jingles. Es gibt nur Chávez und einen Moderator, der nichts zu sagen hat. Und dann gibt es Anrufer, mit denen Chávez über Politik diskutiert – ein Präsident zum Anfassen, zum Beschimpfen, zum Loben. „Mein Mann und ich, wir unterstützen die Vierte Republik, jetzt bin ich fast so aufgeregt wie in dem Moment, als ich Sie gewählt habe“, sagt eine Frau aus Cíudad Bolívar. Chávez will wissen, wie sie lebt, wie es ihr geht, was für Beschwerden sie hat. Keine. Ein Heimspiel für den Präsidenten, den seine Gegner wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit absetzen wollen.
Aus Maracaibo ist jemand dran. Der Mann erzählt: „Ich war Soldat.“ Chávez: „In welchem Bataillon warst du?“ – „Bei der Marine, Señor Presidente.“ – „Ah ja, ja, und was machst du jetzt, mein Bruder?“ – „Jetzt will ich eine Kooperative aufmachen, die Ziegelsteine herstellt, aber ich weiß nicht wie.“ – „Wende dich an die lokalen Produktionseinheiten, ich will mit dem Bauminister sprechen, dass er dir hilft.“ Chávez lügt nicht. Er glaubt sich, dass er dem Mann, den er nie wieder sprechen, nie sehen wird, helfen kann. Ihm fehlt jede kritische Distanz zu sich selbst.
Gerne erzählt er Abenteuergeschichten. Wie sie 1992 den Putsch gegen die Regierung vorbereitet haben. Und dann zählt er die Bücher auf, die er im Gefängnis gelesen hat, als der Putsch scheiterte und er ins „Fünf-Sterne-Hotel“ (Chávez über den Knast) musste. Ganz wichtig: „Die entwaffnete Utopie“ des mexikanischen Sozialwissenschaftlers Jorge Castañeda, heute Außenminister seines Landes. Daraus schließt er: „Unserem Land bleibt nur noch das Rebellentum, weil wir nicht akzeptieren wollen, dass Kinder an Hunger sterben, aber unsere Revolution muss friedlich sein, nur friedlich kann sie sein. Dabei fällt mir ein, dass ich mit dem kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana vereinbart habe, dass wir uns bald sehen, schon bald werde ich zum Staatsbesuch nach Kolumbien reisen, muss einen Termin machen.“
Kein Gehirn kann sich auf solch aprupte Wechsel einstellen, erst Recht nicht, wenn die Assoziationsketten ohne Punkt und Komma durchgesprochen werden. Chávez verschießt seine Sätze wie Maschinengewehrsalben. Und wenn ihm doch einmal die Worte fehlen, dann singt er. Traditionelle Schlager oder die Nationalhymne, und das überrascht: Er hat eine zarte Singstimme.
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