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„Ich schäme mich für meine Partei“

Hildegard Hamm-Brücher, streitbare Liberale seit 54 Jahren, droht mit Parteiaustritt. Sie fürchtet, dass in der FDP „eine neue Variante von Antisemitismus salonfähig wird“. Ihr Brief:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Westerwelle,

es lässt mir keine Ruhe, genauer gesagt: Es beunruhigt mich sehr, dass sich unsere Partei in ihren Äußerungen zur Nahost-Politik mehr und mehr den sattsam bekannten antiisraelischen und einseitig propalästinensischen Positionen des Herrn Möllemann annähert.

Für viele unserer angestammten Wähler und Mitglieder (zu denen ich mich zähle) wird das nachgerade unerträglich, weil dahinter eine neue Variante von Antisemitismus salonfähig wird. Ich denke dabei auch an verstorbene Liberale wie Ignatz Bubis und Heinz Karry, die diesen opportunistisch ins rechte Fahrwasser einmündenden Kurs nie und nimmer gebilligt hätten.

Zwar werden seitens der Partei immer mal wieder Details dementiert, bisher ist aber niemals eine eindeutige Distanzierung zu Möllemanns Kurs erfolgt. (Der einzige Widerspruch kam bisher von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wofür ich ihr ausdrücklich danken möchte.)

So muss sich der Eindruck verstärken, dass sich die FDP für Wähler profilieren will, die den auf beiden Seiten grausam geführten Kampf für und gegen das Existenzrecht Israels zum Vorwand nehmen, um ihren mehr oder weniger getarnten Antisemitismus zu rechtfertigen. So jedenfalls wird das nicht nur von jüdischen Mitbürgern verstanden. Ich schäme mich für meine Partei, dass dieser Eindruck überhaupt entstehen konnte, und dafür, dass er nicht entschlossen, aufrichtig und glaubwürdig zerstreut wird.

Bereits am 15. 12. 01 hatte ich mich an Sie mit der Bitte gewandt, den antiisraelischen und einseitig propalästinensischen Äußerungen des Herrn Möllemann entgegenzutreten. Statt einer persönlichen Antwort von Ihnen erhielt ich ein paar halbherzige Pressemeldungen.

Heute ist dies nun ein neuerlicher (und auch mein letzter) Versuch, Sie, sehr geehrter Herr Westerwelle, zu einer unmissverständlichen Kursänderung zu bewegen. Falls dies nicht geschieht, werde ich die FDP, der ich seit 1948 angehöre, verlassen. Wenn wir nicht wenige Monate vor der Bundestagswahl stünden, würde ich den Schritt, der mir schwer fällt, schon jetzt tun. Noch aber überwiegt ein Rest an Verbundenheit und Rücksicht zu meiner Partei, der ich in einem entscheidenden Wahlkampf, wenn irgend möglich, nicht schaden möchte.

Jedoch werde ich in diesem Sinne die weiteren Äußerungen und Positionen der Parteiprominenz (auch in ihren Zwischen- und Untertönen) aufmerksam verfolgen. Neuerliche tendenziell antisemitische und antiisraelische Stellungnahmen würden zu den angekündigten Konsequenzen führen. In der Hoffnung, dass diese, meine „ultima ratio“ nicht notwendig sein wird, verbleibe ich mit guten Wünschen Ihre (Noch)parteifreundin

Hildegard Hamm-Brücher

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