: Puls in Schattenwelt
Dunkle Hochhausschluchten mit Trauerflor, malerische Blumenwiesen, die zu Wasserfällen mutieren, und Bilder von Familien, die nicht gegen das Böse der Welt gefeit sind: Neue Arbeiten von Annelies Strba in der Galerie Eigen & Art
Früher war das 1999 entstandene Video farbig. Doch nach dem 11. September letzten Jahres wollte Annelies Strba ihr Kunstwerk so nicht mehr zeigen. Sie färbte es digital schwarz – ein Trauerflor in 22 Minuten Länge.
Der Himmel über New York ist so schwarz, dass keine Wolken auszumachen sind. Langsam fährt die Kamera irgendeine Straße ab, auf Manhattans Symbole wartet man bei Annelies Strba sowieso vergebens. Die dunklen Hochhausschluchten könnten auch in Hohenschönhausen gefilmt worden sein. Nur ab und an tun sich gleißende Flecken auf Fensterscheiben-Fronten auf. Der elektronische Sound ist dumpf und monoton und wirkt bedrohlich wie ein Puls aus der Schattenwelt.
Die halbstündige Arbeit „Nyima“ (2001) zeigt, wie Annelies Strbas Videos, sonst aussehen: bunt. Die Schweizerin lässt grüne Felder, sanfte Hügel, blaue Flüsse und Gesteinsbrocken ineinander überfließen. „Nyima“ bedeutet so viel wie Mond und kommt aus dem Asiatischen. Tibetisch anmutende Musik unterstreicht den ruhigen, gemächlichen Charakter der Filmarbeit. Eine Blumenwiese mutiert zu einem Wasserfall, dessen tosendes Nass wie Nebel davonschwebt. Malerischer kann ein Video kaum sein.
Die Weichzeichneroptik verstärkt diesen Effekt. Absichtliche Unschärfen, das grobkörnige Raster und die Vorliebe für nicht spektakuläre Aufnahmen bewirken eine Art meditativen Blick. Egal, ob es sich dabei um die New Yorker oder Berliner Skyline oder eine japanische Landschaft handelt. Es könnten aber auch nur schottische Hügel sein, so genau lässt sich das nicht ausmachen. Die ihr eigene Art der unspektakulären Bildauswahl setzt sich in der Dia-Installation „Shades of Time“ (Schatten der Zeit) fort. Drei Diaprojektoren zeigen gleichzeitig Bilder ihrer Kinder, Enkelkinder und verschiedener Gebäude. Die insgesamt 240 Dias erzählen aus dem Leben der heute 55-Jährigen. Und damit von der Intimität des Alltags einer kleinen Gemeinschaft.
Seit Jahrzehnten fotografiert Annelies Strba mit quasi auto-ethnografischem Blick ihre Familie. Die Kinder Samuel, Sonja und Linda stehen im Mittelpunkt. Man kann ihnen quasi beim Erwachsenwerden zu schauen. Eben noch Kleinkind, sind sie ein paar Dias weiter halbwüchsig, wenig später selbst Eltern. Die Anordnung der Bilder verwirrt, man weiß nicht, ob gerade eins ihrer Kinder oder eins der drei Enkelkinder zu sehen ist.
Zwischendurch tauchen Fotos aus, die sehr alt wirken, aus den Zwanzigerjahren stammen könnten, und doch 1980 aufgenommen wurden. Durch eine gewollte minimale Überbelichtung erhalten die Arbeiten den aus den Anfangstagen der Fotografie bekannte Weichzeichner-Touch. Irritierend auch die Bildfolgen, die inmitten von spielenden, lachenden, badenden, sich Haare kämmenden oder sonst wie posierenden Gören bzw. jungen Erwachsenen immer wieder einbrechen. Alte Baracken, abgewrackte Häuser, kaputte Gebäude. Erst der Katalog klärt auf, dass es sich dabei um Aufnahmen aus Auschwitz und Birkenau, Leipzig und Zeitz, Kobe und Hiroshima handelt.
Damit macht Annelies Strba deutlich, dass in jede noch so sorgsam behütete heile Familiewelt die „böse Welt da draußen“ jederzeit eindringen und Spuren wie Schatten hinterlassen kann.
ANDREAS HERGETH
Bis 18. Mai, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26, Mitte
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