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Für immer minderjährig

Der Mann hat per Gesetz das Sagen, also muss das Gesetz geändert werden: Im Berliner Haus der Kulturen der Welt wurde an dem für Marokko gültigen Personenstandsrecht diskutiert, wie schwer Frauen dort am „Schleier der Macht“ zu tragen haben. Doch eine Reform scheint nach den Wahlen möglich

Erstmals sind Frauen an der Reform des Personenstandsrechts beteiligt

von KATRIN SCHNEIDER

Der Titel ist irreführend: Lässt sich das marokkanische Personenstandsrecht als „Schleier der Macht“ diskutieren? Denn die Macht von Männern über Frauen im privaten Bereich ist in dem Gesetzestext, der nach der Unabhängigkeit Marokkos auf der Grundlage der Scharia erarbeitet wurde, seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1957 ausgesprochen unverschleiert festgeschrieben. In den sechs Büchern, in denen Heirat, Scheidung, Polygamie, Erbrechte und Unterhalt gesetzlich geregelt sind, werden Frauen als „ewig Minderjährige“ behandelt. So deutlich sah es die Literaturprofessorin aus Casablanca, Fatima Zryouil, auf dem Podium des Berliner Haus der Kulturen der Welt. Selbst volljährigen Frauen ist es rechtlich nicht möglich, ihren Ehevertrag eigenständig zu unterschreiben, sie sind hierzu auf einen männlichen Vormund angewiesen. Und die einzige Möglichkeit, sich aus einer Ehe zu befreien, besteht darin, sich für hohe Summen „freizukaufen“, eine legale Scheidung ist für Frauen nicht zulässig.

Gleichwohl gibt es einen eklatanten Widerspruch zwischen dem rechtlichen Status von Frauen und ihrer heutigen sozioökonomischen Rolle. Dass sich hier eine rasante Veränderung vollzogen hat, berichtete Mohamed Tozy, Autor des Buches „Die Monarchie und der politische Islam in Marokko“, als Gesprächsleiter des Abends in seiner Einführung. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt mittlerweile bei 30 Prozent, 17 Prozent der marokkanischen Haushalte haben einen weiblichen Haushaltsvorstand. Ökonomische Unabhängigkeit gehe in vielen Fällen jedoch mit rechtlicher Abhängigkeit einher. So sei es kein Wunder, dass es seit dem Inkrafttreten der Moudawana – so wird das Personenstandsrecht in Marokko genannt – immer wieder die Forderung von Frauen nach Änderungen des Gesetzestextes gab. Ein erster Erfolg konnte diesbezüglich jedoch erst 1993 nach einer groß angelegten Kampagne verbucht werden.

Am Vorabend des Weltfrauentages 1992 hatten Frauen aus der Redaktion der arabischsprachigen feministischen Zeitung 8. März und Mitglieder der linken Frauenorganisation Union de l’Action Féminine in einer Pressemitteilung dazu aufgerufen, eine Million Unterschriften zur Änderung des Personenstandsrechtes zu sammeln. Die Aktion rief große Widerstände von konservativen religiösen Kräften hervor. Von den Autoritäten in religiösen Fragen wurde gegen einige der Frauen eine Fatwa verhängt, in der es hieß, sie müssten getötet werden. Der Konflikt konnte erst entschärft werden, als sich der damalige König Hassan II. einschaltete und in seiner religiösen Funktion als „Führer der Gläubigen“ eine Kommission einsetzte, die Änderungen des Gesetzestextes erarbeiten sollte.

Die Änderungen der Moudawana, die 1993 in Kraft traten, blieben weit hinter den Forderungen der Frauenorganisationen zurück. Ein Erfolg der Kampagne wurde von den Frauen jedoch darin gesehen, dass es erstmals gelungen war, Änderungen des Rechts zu erstreiten, das bis zu diesem Zeitpunkt als heilig und unantastbar galt. In der Folge wurden eine Reihe neuer Frauenorganisationen gegründet, die sich um die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen bemühen. Einige Organisationen verweisen dabei auf die internationalen UN-Konventionen und fordern ein säkulares Personenstandsrecht, andere leiten ihre Forderungen aus islamischen Rechtsquellen ab, die sie neu interpretieren.

Letzteres ist auch der Ansatz von Fatima Zryouil, die sich mit einer neuen Lesart islamischer Texte beschäftigt. Sie berief sich dabei auf die Veröffentlichung des Nationalen Aktionsplans für die Integration von Frauen in die Entwicklung, der 1998 von dem damaligen Staatssekretär für soziale Sicherung, Familie und Jugend, Saiid Saâdim, zusammen mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen erarbeitet worden war. Neben einer Reihe von weithin unstrittigen Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen, ökonomischen und politischen Situation von Frauen enthält der Entwurf auch einige Maßnahmen zur Änderung des Personenstandsrechts. Schon 1999 führte die Frage nach Art und Ausmaß dieser Reform der Moudwana in der marokkanischen Öffentlichkeit zu einer heftigen Diskussion. Die Spaltung der Gesellschaft in dieser Frage wurde am 12. März 2000 sichtbar, als marokkanische Frauen- und Menschenrechtsaktivisten auf einer Großdemonstration in Rabat mit etwa 200.000 TeilnehmerInnen ihrer Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter Nachdruck verliehen, während am selben Tag in Casablanca eine Gegendemonstration mit wesentlich höherer Beteiligung stattfand, zu der islamistisch-konservative Gruppen aufgerufen hatten.

Die Tatsache, dass in dem Demonstrationszug in Rabat auch Frauen mit Kopftüchern zu sehen waren und die Gegner des Nationalen Aktionsplans ihre Ablehnung zum Teil damit begründeten, dass dessen Erarbeitung finanziell von der Weltbank unterstützt wurde und dieser daher ein Produkt des Westens sei, macht deutlich, dass die Auseinandersetzung nicht nur entlang unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse verläuft. In seiner kurzen geschichtlichen Einordnung betonte der Professor für neuere Geschichte aus Casablanca, El-Ayadi, die Komplexität der Situation, in der die Frage des Rechtsstatus von Frauen zum Kristallisationspunkt politischer Machtkämpfe wird.

Nach den beiden Großdemonstrationen wandte sich die sozialistische Regierung mit der Bitte um Vermittlung an König Mohammed VI., der im April 2001 eine Kommission eingesetzt hat, die Vorschläge für eine erneute Reform des Personenstandsrechts erarbeiten soll. Sie unterscheidet sich von der 1992 einberufenen Kommission in zwei Punkten: Zum einen wurden erstmalig auch drei Frauen als Mitglieder ernannt, zum anderen ist die Arbeitsweise der Kommission nach außen hin offener. Einer Reihe von Frauenorganisationen wurde zudem die Möglichkeit gegeben, ihre Vorstellungen vor den Mitgliedern der Kommission darzulegen. Inwieweit diese bei der Erarbeitung von Änderungen berücksichtigt werden, ist noch nicht absehbar. Es ist gut möglich, dass die Kommission die bevorstehenden Wahlen im September abwartet, um den anstehenden Wahlkampf nicht mit diesem brisanten Thema zu belasten.

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