GEGEN DEN RECHTSRUCK BRAUCHT DIE EU DIE KRAFT ZU REFORMEN: Dominostein Holland
Auch in Holland ist es amtlich: Jeder fünfte Wähler steht rechts von der Mitte – genauso wie in Österreich, Italien, Dänemark, Frankreich und wohl auch sonst in EU-Europa. Der nächste Dominostein sei gefallen, kommentierte Hartmut Nassauer, Sprecher der deutschen Konservativen im Europaparlament. Damit wollte er nicht etwa seine Betroffenheit, sondern sein Triumphgefühl zum Ausdruck bringen. Er sieht die „sozialistische Dominanz“ im Rat endgültig gebrochen und damit die Zeit für Korrekturen in der Asyl- und Einwanderungspolitik, aber auch in industriepolitischen und Umweltfragen gekommen. So sorgt sich ein konservativer Demokrat jetzt nicht um die europäischen Werte, sondern hat lediglich die machtstrategischen Vorteile für die eigene politische Familie im Sinn. Genau diese Haltung führt zu Wahlergebnissen wie dem in den Niederlanden.
Die sozialistische Mehrheit im Rat der Staats- und Regierungschefs hatte den Wählern 1999 nach dem Korruptionsskandal in der Kommission einen politischen Neuanfang in der EU versprochen. Mit einer neuen Mannschaft politisch unbelasteter EU-Kommissare und dem Vorsatz, künftig die Gemeinschaftspolitik nicht mehr kurzsichtigen wahltaktischen Spielchen zu opfern, gelang kurzfristig Aufbruchstimmung. Dabei haben die Modernisierer à la New Labour allerdings zwei politische Sprengsätze nicht entschärft: die Globalisierungsängste und die zunehmend als Bedrohung empfundene Migration. Die Europäische Union hat es nicht geschafft, das Heimatgefühl zu erzeugen, das solche Ängste beschwichtigen könnte.
Im Gegenteil, die EU-Regierungen schaffen immer neue anonyme Unionsstrukturen, ohne die für die Bürger entscheidenden Fragen zu klären: Wer kontrolliert Europol, was tut der militärische Planungsstab, welche Regeln gelten für europäische Polizeikräfte oder Grenztruppen? Statt bei ihren Treffen kleinliche Wahlgeschenke auszutauschen – Fischereisubventionen gegen Kohlepfennig –, sollten sich die Staatschefs auf die EU-Reform einigen. Wenn sie dafür nicht die Kraft aufbringen, werden sich noch mehr Wähler von der politischen Mitte abwenden und europafeindliche Parteien wählen. DANIELA WEINGÄRTNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen