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Die Nullsteuer macht Appetit auf mehr

Nicht nur die Konjunktur reißt Löcher in den Etat. Mit der Steuerbefreiung für Unternehmensverkäufe hat Rot-Grün selbst für Ausfälle gesorgt

BERLIN taz ■ Die Arbeit in den Vorstandsetagen deutscher Konzerne muss zurzeit richtig Spaß machen. Die Steuern tendieren gegen null – jedes Geschäft ist das große Los. Das liegt nicht zuletzt an einer Reform der rot-grünen Regierung, die schon bei ihrer Einführung allenthalben ungläubiges Staunen hervorrief. Wenn ein Unternehmen Aktien anderer Firmen verkauft, ist der Gewinn seit Anfang des Jahres steuerfrei. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat diese Abgabe schlicht abgeschafft.

Als die Münchner Allianz AG im Januar 2002 ein großes Aktienpaket verkaufte – ihr gehörten 13,6 Prozent der HypoVereinsbank –, verdiente sie rund zwei Milliarden Euro. Eine Gewinnsteuer wurde nicht erhoben. Die spart sich Allianz-Finanzvorstand Paul Achleitner auch bei einem anderen Geschäft: der Veräußerung von Anteilen an Deutscher Bank, BASF, Siemens und Eon für 4,7 Milliarden Euro im Rahmen so genannter Wandelanleihen.

Die Deutsche Bank profitiert ebenfalls nach Kräften. Etwa eine Milliarde Euro verdiente sie abgabenfrei, als sie Anteile der Allianz und der Münchner Rück versilberte. Die Liste lässt sich fortsetzen: Kirch verkauft Springer-Aktien im Wert von einer Milliarde Euro. Steuer: null. Eon verkauft den Verpackungshersteller Schmalbach-Lubeca für gut 1,5 Milliarden. Steuer: keine.

Nicht erst, seit gestern die Steuerschätzung für 2002 und die kommenden Jahre veröffentlicht wurde, klaffen in Eichels Einnahmen-Ausgaben-Rechnung große Löcher. Auch durch die Steuerbefreiung für Unternehmensverkäufe gehen dem Staat Milliarden Euro verloren – selbst wenn man berücksichtigt, dass viele dieser Beteiligungen ohne die Steuerbefreiung gar nicht verkauft worden wären.

Die Milliarden fehlen in den kommenden Jahren für Investitionen, die die Wirtschaft ankurbeln könnten. Sie fehlen bei notwendigen Verbesserungen in Schulen und Universitäten. Und sie fehlen bei Eichels ureigenstem Ziel: der Sanierung des Hauhaltes. Eine ausgeglichene Bilanz von Staatseinnahmen und -ausgaben bis 2004 vorzulegen, wie es der Minister gegenüber der Europäischen Union zugesagt hat, wird immer unrealistischer.

Das Finanzministerium rechnet mit Ausfällen von 4,2 Milliarden Euro bis 2005, erläutert ein Sprecher. Diese Annahme basiert jedoch auf der veralteten Statistik von 1995. Lorenz Jarass, Wirtschaftsprofessor aus Wiesbaden, schätzt dagegen den Beteiligungsbesitz deutscher Unternehmen auf mindestens 250 Milliarden Euro. Verkaufen sie davon nur 20 Prozent und rechnet man mit einem theoretischen Steuersatz von 20 Prozent, ergeben sich Einnahmeausfälle von zehn Milliarden Euro.

Das tatsächliche Minus könnte noch höher ausfallen. „Sobald die Konjunktur anspringt, geht es los“, prognostiziert Jan Wulfetange vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Bisher hätten sich die Unternehmen wegen der niedrigen Aktienkurse zurückgehalten. „Zieht die Börse wieder an, kann die Entflechtung sehr schnell gehen“, sagt auch Allianz-Vorstand Paul Achleitner.

Wenn ein Unternehmen Aktien verkaufte, kassierte der Staat früher rund 50 Prozent des Gewinns – der Differenz zwischen Buchwert und Verkaufserlös. Nicht einmal bei der Allianz hatte man gewagt, die völlige Abschaffung dieser Steuer zu verlangen. Den Managern hatte 1998 eine reduzierte Abgabe von 20 Prozent vorgeschwebt.

Doch Eichel gab alles. Unter tätiger Mithilfe der Grünen wollte er mit dem harten Schnitt erreichen, dass das alte Firmengeflecht, die so genannte Deutschland AG, aufgelöst wird. Denn die verhindere Innovationen und damit neue Arbeitsplätze. Außerdem argumentierten Eichels Experten mit der Steuergerechtigkeit. Jeder Unternehmensgewinn unterliege auch heute noch der Körperschaftssteuer. Wenn ein Betrieb seinen Gewinn in Aktien anderer Firmen investiere und diese später wieder verkaufe, sei es falsch, die einmal bereits versteuerten Einnahmen noch einmal abzukassieren.

Diese Argumentation lässt außer Acht, dass zwischen Kauf und Verkauf ein zusätzlicher Gewinn liegen kann, der versteuert werden müsste. Hinzu kommt das Gerechtigkeitsproblem: „Wie soll man einem Lohnabhängigen erklären, dass der Staat die Hälfte seines Weihnachtsgeldes einbehält, während Konzerne Geld zurückbekommen?“, fragt Wirtschaftsprofessor Jarass.

Sozialdemokraten und Grüne machen ungerechte Politik: Dieses Thema kam der CDU im Wahlkampf wie gerufen. „Ein schwer erträgliches Steuergeschenk für die Konzerne“, nannte etwa der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) die Reform. Auch Kanzlerkandidat Edmund Stoiber machte kürzlich noch Stimmung, indem er gegen die Großen grollte.

Was davon übrig bleibt, wird man sehen. Nach Protesten aus der Wirtschaft versprach Fraktionschef Friedrich Merz „auch im Namen des Kanzlerkandidaten“, die Steuerbefreiung zumindest in den Jahren 2002 und 2003 nicht anzutasten. Und Lothar Späth, CDU-Wirtschaftsminister in spe, findet abgabenfreie Gewinne im Prinzip gut: „Wenn wir es erhalten können, ist es ein Vorteil.“

Die Debatte über eine mögliche Rücknahme der Steuerbefreiung könnte dazu führen, dass die Unternehmen in der zweiten Jahreshälfte noch schnell raushauen, was geht – um der Wiedereinführung der Abgabe zuvorzukommen. Durch die rot-grüne Reform sitzt der Staat in der Falle. Wegen des sagenhaften Geschenks an die ganz Reichen werden den öffentlichen Haushalten so oder so Milliarden Euro verloren gehen – Hintergrund für die Debatte um die Kürzung der Sozialhilfe und die Privatisierung der Gesundheitsversorgung.

HANNES KOCH

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