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Freiwillig in den Tod

Das belgische Parlament einigt sich nach jahrelangen Debatten auf ein liberales Sterbehilfegesetz. Gegner wollen Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einreichen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Es ist nach Ansicht von Experten das liberalste Sterbegesetz der Welt, das Belgien seit Donnerstagabend hat. In einer 20-stündigen Marathondebatte waren zuvor alle Argumente von Befürwortern und Gegnern noch einmal im Parlament debattiert worden, bevor man sich auf die jetzige Regelung verständigte.

Schon im Dezember 1999 hatte die Regierungskoalition aus Liberalen, Sozialisten und Grünen den ersten Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Öffentlichkeit leidenschaftlich diskutiert worden war. Vor allem Kirchen und christdemokratische Politiker sahen und sehen die Gefahr, dass Schwerstkranke dazu überredet werden könnten, freiwillig in den Tod einzuwilligen.

„Wenn der Patient sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Arzt nur zum Ziel hat, Leiden zu lindern und Leben zu retten, sondern auch in der Lage ist, zu töten, bringt das unvorhersehbare Probleme mit sich“, warnte der konservative Europaabgeordnete und Mediziner Peter Liese. Mitglieder der belgischen Hospizbewegung äußerten die Überzeugung, dass moderne schmerzlindernde Pflege unheilbar kranker Menschen ein Sterbehilfegesetz überflüssig mache. Die Deutsche Hospiz-Stiftung nannte das umstrittene Gesetz eine „Lizenz zum Töten“.

Im Gesetzestext wird allerdings ausdrücklich betont, dass kein Arzt zur Tötung auf Verlangen gezwungen werden kann. Den Wunsch nach Sterbehilfe können unheilbar kranke Menschen äußern, die volljährig, bei vollem Bewusstsein und geistig klar sind. Für geistig Behinderte und Demenzkranke gilt das neue Gesetz nicht.

Voraussetzung ist, dass sich der Patient in einem aussichtslosen Zustand befindet und unter unerträglichen körperlichen Schmerzen leidet. Falls er dazu in der Lage ist, muss er den Wunsch schriftlich äußern. Der behandelnde Arzt muss sich dann mit zwei Kollegen beraten, von denen einer Psychiater oder Facharzt für die vorliegende Krankheit ist. Frühestens vier Wochen nach Antragstellung kann er dem Wunsch des Patienten entsprechen.

Nach der Tötung des Patienten muss der Arzt den Fall schriftlich dokumentieren. Alle Dossiers werden von einem Kontrollgremium geprüft, dem acht Ärzte, vier Juristen und vier Experten für Schmerzmedizin angehören. Hat eine Zweidrittelmehrheit der Kommission Zweifel, dass das Euthanasiegesetz korrekt angewandt wurde, wird das Dossier an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Die christdemokratische Opposition im belgischen Parlament hatte bis zuletzt versucht, das Gesetz zu verhindern. Sie hatte noch am Donnerstagnachmittag 70 Änderungsanträge eingebracht. Nun erwägt sie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Der hatte Ende April die Klage einer Britin abgewiesen. Diane Pretty, die auf Grund einer Nervenerkrankung vom Hals abwärts gelähmt war und sich deshalb nicht selbst das Leben nehmen konnte, wollte mit Hilfe ihres Ehemannes sterben. Da ihm nach britischer Rechtslage bis zu 14 Jahre Gefängnis gedroht hätten, wollte sie sich das Recht auf einen selbstbestimmten Tod in Straßburg erstreiten. Die Richter entschieden aber, das Recht auf Leben schließe nicht das Recht ein, mit Hilfe eines Dritten zu sterben.

Sollten die belgischen Christdemokraten ihre Ankündigung wahr machen und ebenfalls eine Stellungnahme des Straßburger Gerichts herbeiführen, würde die europaweite Diskussion um Euthanasie, Sterbehilfe und Beihilfe zum Selbstmord neu entfacht. Nur Holland und Belgien haben bislang in der EU ein entsprechendes Gesetz. Aber auch in vielen anderen Staaten gibt es Bürgerinitiativen, die das Recht auf einen selbstbestimmten Tod fordern. Ebenso leidenschaftlich wie die Befürworter argumentieren die Gegner, eine gut ausgestattete Schmerzmedizin mache Euthanasie überflüssig. Wer bis zuletzt nach modernsten medizinischen Erkenntnissen betreut werde, habe nicht den Wunsch, sein Leben selbst zu beenden. Dieses Argument hat die belgische Regierungskoalition berücksichtigt. Sie hat zusammen mit dem neuen Sterbehilfegesetz auch ein Gesetz zur verbesserten Pflege todkranker Patienten verabschiedet. Beide sollen nach der Sommerpause in Kraft treten.

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